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Die Geneigten Ebenen als Vorbild im modernen Kanalbau

 
     
 
Die geneigten Ebenen des Oberländischen Kanals zwischen dem Röthloff- und dem Drausensee sind schon oft Gegenstand der Bewunderung gewesen. Auch Das hat einige Darstellungen über jene Stellen in unserer Heimat, wo die Schiffe über die Berge fuhren, veröffentlicht. Durch fünf "Rollberge", wie die Schiffer sie nannten, wurde im Zuge des Kanals eine Höhendifferenz von insgesamt 99 Metern überwunden. Die Lösung dieses Problems ist dem Kgl. Baurat Georg Jakob Steenke zu danken, der im Jahre 1833 auch den Seckenburger Kanal in der Memelniederung gebaut hat. Die Städte Liebemühl und Elbing ernannten ihn wegen seiner Verdienste zum Ehrenbürger, ein Gedenkstein an der Ebene 1 (Buchwalde) erinnert an seine Tätigkeit. Er selbst trennte sich trotz ehrenvoller Angebote nicht von seinem Werk. Am Nordende des Röth-loffsees erbaute er sich in Zölp eine Villa mit schönen Parkanlagen und blieb bis zu seinem Lebensende der treue Hüter seines Oberländischen Kanals mit den eigenartigen Geneigten Ebenen.

Hier handelt es sich um das technische Problem: wie überwindet man bei Kanalbauten Höhenunterschiede zwischen einzelnen Wasserflächen? Im Prinzip steht die gleiche Frage bei Schleusenbauten an. Sie sind Anlagen zur Überwindung von Höhenunterschieden auf Schiffahrtswegen, besonders bei Kanälen. Die Geneigten Ebenen überwinden von der Tiefebene des Drausensees bis zum Oberland bei Neu-Kußfeld 14 Meter, bei Hirsch
feld 22 Meter, bei Schönfeld 24 Meter, bei Kanthen 19 Meter und bei Buchwalde 20 Meter. Jede Geneigte Ebene im Oberländischen Kanal ist eine trockene Unterbrechung desselben und besteht eigentlich aus zwei ungleichen schiefen Ebenen, die an der höchsten Stelle dachförmig zusammenstoßen. Auf jeder Geneigten Ebene laufen zwei Eisenbahngleise nebeneinander, auf denen Gitterwagen zur Beförderung der Schiffe zugleich bergauf und bergab aneinander vorbeifahren. Sie waren zu unserer Zeit 20 Meter lang und 3 Meter breit. Die Spurweite der Schienen betrug 3,14 Meter. Die Gleise ziehen sich bei dieser Art von schiefen Ebenen am tieferen wie am oberen Ende des Kanals noch ein bestimmtes Stück unter Wasser hin. In Ruhestellung befindet sich ein Gitterwagen im oberen, der andere im unteren Teile des Kanals im Wasser. Beide stehen durch starke Drahtseile, die über mächtige, sich drehende Scheiben laufen und eigentlich ein Seil ohne Ende darstellen, so in Verbindung, daß sie gleichzeitig in entgegengesetzter Richtung in Bewegung gesetzt werden können. Zum Antrieb dienten oberschlächtige Wasserräder bzw. Turbinen. Sollte ein Schiff in Richtung Oberland hinaufgezogen werden, so fuhr es in den im Wasser befindlichen Wagen hinein, von dem gerade das Gitter herausragte. Es wurde vertäut, danach durch das in Bewegung gesetzte Seil ohne Ende die schiefe Ebene hinaufgezogen, um nach dem Überschreiten des Gipfelpunktes in die höher gelegene Kanalstrecke soweit hineinzulaufen, bis das auf dem Gitterwagen festgemachte Schiff genügende Tiefe erreicht hatte. Es wurde dann von ihm gelöst und konnte auf der höher gelegenen Kanalstrecke seinen Weg fortsetzen. Dasselbe geschah mit den talwärts fahrenden Schiffen. Die Fahrt über eine Geneigte Ebene dauerte etwa eine Viertelstunde. Auf Zuschauer machten solche "über Land fahrenden Schiffe" einen eigenartigen Eindruck.

Der Oberlän-dische Kanal wurde 1844–1858 gebaut und 1860 eingeweiht. Er sollte das wirtschaftliche Einzugsgebiet Elbings vergrößern, andererseits Deutsch Eylau und Osterode besser mit dem Frischen Haff verbinden. Seine bescheidenen Maße (schmalste Stelle 16 Meter, geringste Tiefe 1,25 Meter Sohlenbreite 7,5 Meter) gestatteten nur eine geringe Tragfähigkeit der Oberlandkähne (24 Meter lang, unten 2,50 Meter und oben 3 Meter breit. Tragfähigkeit 60 Tonnen. Tiefgang 1 Meter, bei Dampfern 0,90 Meter) Der Oberländische Kanal konnte schließlich die spätere Konkurrenz der Eisenbahn nicht aushalten. Der Frachtverkehr ging zurück.

Ein Gegenstück zum Oberländischen Kanal existierte bisher nur im Morriskanal, der aus dem Legigh, einem Nebenfluß des Susquehannah, nach New York führt. Hier wird jedoch die höher gelegene Kanalstrecke durch ein Schleusenwerk von der Ebene abgeschnitten. Ein solches, das die Anlage eines Kanals mit Geneigten Ebenen erheblich verteuert, hat Steenke beim Oberländischen Kanal vermieden. Dieser ist also einfacher und praktischer.

Bis in unsere Zeit galt Steenkes Lösung der Überwindung von Niveaudifferenzen als ein Kuriosum. Doch neuerdings denkt man in Fachkreisen ganz anders und nimmt die Steenkesche Lösung des Problems, "mit dem Schiff über Berge zu fahren", als Vorbild. Vielleicht bahnt sich hier gar eine Revolutionierung im Kanalbau an, wo hügeliges oder bergiges Gelände einen solchen bisher unmöglich machte.

Die prinzipielle Bedeutung des ostdeutschen Systems der Geneigten Ebenen im Kanalbau ist zuerst von den Belgiern erkannt worden. Es ist im Vergleich zur Schleusentechnik in bestimmten Fällen eben erheblich billiger. Es macht kostspielige Schiffshebewerke u. ä. überflüssig. Auf der Binnenschiffahrtsstrecke Brüssel–Charleroi ist bei Ronquière ein 70 Meter hoher Geländeanstieg zu überwinden. Man löst dieses Problem nach dem System der ostdeutschen Geneigten Ebenen, baut dabei aber natürlich nach dem neuesten Stande der Technik. Auch hier rollen – wie die Gitterwagen – je ein Transporttrog auf Schienen mit 10 Metern Spurweite ins Wasser, um ein Schiff aufzunehmen. Eine Klappe der Schmalseite fällt, das Schiff wird vorsichtig in die mit Wasser gefüllte Kammer hineinmanövriert, danach die Kammer geschlossen. Das Wasser steht darin etwa 2,50 Meter hoch. Jeder Schiffstrog ist 80 Meter lang, 5000 Tonnen schwer und vermag Schiffe bis zu 1350 Tonnen Gewicht über die fünfprozentig geneigte Ebene zu schaffen. Jeder Trog rollt über 263 Rollen und wird von Elektromotoren an rund 15 Zentime- ter dicken Trossen bergan gezogen bzw. herabgelassen. Die 1,5 Kilometer lange und 70 Meter hohe Geneigte Ebene wird in 20 Minuten überwunden. Wollte man diesen Höhenunterschied mittels Schleusen ausgleichen, so brauchte man mehrere Stunden.

Die Geneigten Ebenen sollen auch für die Verländerung des Neckarkanals über die Schwäbische Alb zur Donau beziehungsweise zum Bodensee als Vorbild dienen. Die Linienführung von Plochingen über oder unter dem Kamm der Alb und Ulm nach Friedrichshafen liegt bereits fest. Es erscheint eigenartig, den Steilabfall der Schwäbischen Alb mittels Geneigten Ebenen überwinden zu wollen. Doch weist diese felsige Traufseite von der Natur begünstigte Ein- und Übergänge auf. Es sind Talwasserscheiden, und von Göppingen – Geislingen bietet sich der Talzug von Fils und Lone zum Überschreiten der Schwabenalb an. Zwei "Schiffsrollbahnen" sollen zweimal einen Höhenunterschied von 100 Metern auf einer Länge von über zwei Kilomtern überwinden. Die dritte Geneigte Ebene von 5 Kilometern Länge und einem Höhengewinn von 100 Metern ist für diesen Neckar-Bodensee-Kanal noch bei Mochenwangen, Kreis Ravensburg, also nördlich von Friedrichshafen, vorgesehen.

Schließlich hat man in der Sowjetunion bei Krasnojarsk mit dem Bau einer Geneigten Ebene begonnen. Dort sind 120 Meter Höhenunterschied im Gelände zu überwinden. Andere derartige Verkehrsmittel sollen sich in Rußland noch in der Pla-nung befinden. Nachdem die Russen die Geneigten Ebenen im Zuge des Oberländischen Kanals kennengelernt haben, ist in der Sowjetunion sogar ein Bauinstitut begründet worden, in dem man sich mit dem Problem der "Schiffsrollbahnen" wissenschaftlich und praktisch beschäftigt.

Insgesamt scheint Steenkes Idee der Überwindung von Höhenunterschieden durch Schiffe mittels Geneigten Ebenen nach über 100 Jahren einer Neubelebung entgegenzugehen, zumal immer mehr Kanalbauten in Mittelgebirgslandschaften an Bedeutung gewinnen, und es bleibt abzuwarten, wieweit dem odernen Kanalbau überhaupt dadurch neue Wege gewiesen werden.

*Das 18. Juli 1964

 
     
     
 
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