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Die Retter der verletzten Kinderseelen

 
     
 
Eltern gesucht!" Das von einem warmen Orangeton dominierte Plakat hängt regelmäßig in den Hamburger U-Bahnen. "Pfiff e. V." sucht hiermit Pflegeeltern für Kinder aus Problemfamilien. Sie müssen bei Fremden ein Zuhause erhalten, da ihre Originalfamilie ihnen aus den verschiedenen Gründen kein geordnetes Heim bieten kann. Was mit Kindern passiert, die zu lange bei ihrer Problemfamilie bleiben, kennen wir aus den Medien. Fälle wie "Jessica" und "Kevin" stehen für ein tödliches Versagen der leiblichen Eltern, Verwandten, Nachbarn und Jugendämter. Doch das sind nur die spektakulären, medienwirksamen Beispiele. Was ist mit den traumatisierten, teils verwahrlosten, einsamen Kindern, deren Eltern mit ihnen überfordert sind und die so von vornherein keine Chance haben, ihren Platz im Leben zu finden?

In der Hansestadt Hamburg
leben rund 3000 Kinder und Jugendliche außerhalb ihrer Familien. Während gut 2000 von ihnen in Kinderheimen mit maximal 40 Kindern bei fünf Gruppen oder im Alter bis sechs Jahren in sogenannten Kinderschutzhäusern leben, sind über 900 von ihnen in Pflegefamilien untergebracht.

Doch es gibt zu wenig Pflegefamilien, die bereit sind, sich den Herausforderungen zu stellen, die es mit sich bringen, ein fremdes, traumatisiertes Kind bei sich aufzunehmen und ihm zu helfen, den Weg in ein "normales" Leben zu finden. Denn "normal" ist das Leben der wenigsten. Viele der Kinder haben Eltern, die ihr Leben selbst nicht organisieren können. Drogen- oder Alkoholsucht und psychische Krankheiten der Eltern sind wohl die häufigsten Gründe dafür, daß Jugendämter entscheiden, die Kinder aus ihren Familien zu nehmen. Viele dieser Kinder leiden unter sogenannten "Entwicklungsverzögerungen", daß heißt sie sind beispielsweise mit drei Jahren auf dem Stand eines Einjährigen. Viele sind verhaltensauffällig, reden kaum oder zu viel, können nicht allein sein, machen sich in die Hose oder haben Angstzustände. Manche sind sogar behindert, da beispielsweise ihre Mutter während der Schwangerschaft Drogen genommen hat.

"Pfiff e. V." ist einer von mehreren freien Trägern, die im Auftrag der Stadt Hamburg Pflegeeltern für diese Kinder suchen. Doch: "Wir suchen nicht Kinder für Eltern, sondern Eltern für Kinder", macht Hildegard Fürschütte deutlich. Die Mitarbeiterin für "Pfiff e. V." leitet die Pflegeschule. Hier erhalten potentielle Pflegeeltern in Vorbereitungskursen Informationen darüber, was auf sie zukommt. Seit dem 1. Januar 2007 ist das 35 Unterrichtsstunden umfassende Seminar Pflicht, damit man überhaupt in die engere Auswahl gezogen wird, ein Kind zu erhalten. Nur wer genau wisse, was auf ihn zukommt, habe eine Chance, den Kindern ein neues Zuhause zu bieten.

Obwohl also Pflegefamilien fehlen, hat die Stadt Hamburg die Hürden, um Pflegeeltern zu werden, erhöht. Diese gegenläufige Entwicklung erklärt sich mit dem Kindeswohl. Früher gab es Kinder, die im Laufe ihrer Jugend zahlreiche Familien durchliefen, weil auch die Aufnehmenden sich alles einfacher vorgestellt hatten, nicht bereit waren, zugunsten des Zöglings ihr Leben einzuschränken. Das verstört die sowieso schon entwurzelten Kinder zusätzlich.

Auch dem Vorurteil, daß viele Familien Pflegekinder nur aufnähmen, weil sie dafür Geld vom Staat bekämen, wird entgegengearbeitet. Je nach Alter des Kindes erhalten die Pflegeeltern zwischen 704 und 868 Euro monatlich - ein Heimplatz kostet 3680 Euro monatlich -, doch das Kind darf keine Einnahmequelle sein. Die aufnehmenden Personen, die altersmäßig eher Eltern als Großeltern sein sollen, müssen über ein annehmbares Einkommen, ausreichende Räumlichkeiten und Zeit verfügen.

Und über starke Nerven ..., denn "der Unterschied zur Adoption: Pflegekinder haben meist zwei Mütter und zwei Väter", warnt "Pfiff e. V.". Zwar halte nur rund die Hälfte der Originaleltern dauerhaft den Kontakt zu ihren Kindern, meint Jürgen Wicklein, der bei "Pfiff e. V." rund 30 Pflegekinder, die bei 25 Familien untergebracht sind, betreut, doch dieser Kontakt habe es häufig in sich, eben weil die Eltern Menschen sind, die ihr Leben nicht im Griff haben und häufig andere "Umgangsformen" pflegen.

Jürgen Wicklein hat selbst einen Pflegesohn und kennt daher die Probleme, vor denen die aufnehmenden Familien daheim stehen. Vor allem sein damals fünfjähriger Sohn hätte mit seinem zweijährigen Pflegebruder, der vorher von seiner jugendlichen Mutter keinerlei Erziehung erhalten hatte, nicht umgehen können. Plötzlich bekam er ein "fertiges", freches Kleinkind vor die Nase gesetzt, das alt genug war, um ihn in seinem Alltag zu stören. Es sei ein Konkurrenzgebaren gegenüber dem "Neuen" aufgebaut worden, das der Grundschüler bis heute nicht hätte ablegen können.

Manchmal verlassen die Pflegekinder ihre Zweitfamilie wieder. Nicht immer sei dies sinnvoll. So erinnert sich Jürgen Wicklein daran, daß eine psychisch labile Mutter aus einer Laune heraus ihr Kind wiederhaben wollte. Wicklein

und ein unabhängiger Gutachter waren dagegen, doch das Jugendamt, das als Koordinator die Akten bearbeitet, sprach das Kind der Mutter zu. Zwei Wochen später war klar, daß das Kind wieder zurück zu seinen Pflegeeltern mußte, da die Mutter ihre Kräfte überschätzt hatte. Enttäuschte Hoffnungen bei Mutter und Kind waren die Folge. Zudem war das Kleinkind in seiner Entwicklung zurückgeworfen, konnte Dinge nicht mehr, die es vorher schon beherrscht hatte.

Fragt man bei der Stadt Hamburg, wie sehr und zu welchen Kosten die Mitarbeiter vom behördlichen "Allgemeinen Sozialen Dienst" in den sieben Stadtbezirken mit freien Trägern zusammenarbeiten, folgt Unwissenheit. Zu umfangreich seien die Aufgaben, die an fremde wie "Pfiff e. V.", "SOS-Kinderdörfer", kirchliche Organisationen und andere außer Haus gegeben werden, da die Stadt weder personell noch von der Qualifikation her alle Aufgaben selbst erledigen könne. Auch würden die Beauftragten je nach Auftrag und Vertrag äußerst unterschiedlich honoriert.

Aus den Fehlern der Vergangenheit habe man aber gelernt, behauptet Rico Schmidt, Pressereferent der Behörde "Soziales, Familie, Gesundheit und Verbraucherschutz". Jeder Bezirk habe nach dem Fall der verhungerten Jessica im Sommer 2005 eine Stelle mehr bekommen, außerdem würden im Falle eines Umzuges der Problemfamilien die jeweiligen Akten weitergegeben, moderne Software und regelmäßige Treffen sorgten dafür, daß Informationen für alle Beteiligten zugänglich seien. Und Beteiligte gibt es viele. Es soll nicht in Frage gestellt werden, daß beispielsweise die Mitarbeiter von "Pfiff e. V." das Beste für Kinder und Eltern wollen, doch auch sie sind nur für einen kleinen Ausschnitt des jeweiligen "Falles" zuständig.

 

Eltern benötigt: "Pfiff e. V." sucht für Hamburger Kinder aus Problemfamilien eine neue Familie. Eigene Kinder können gern vorhanden sein. Foto: "Pfiff e. V."

 

Die drei unterschiedlichen Pflegeformen:

1) Wird ein Kind für einige Jahre aufgenommen, spricht man von Dauerpflege. Es ist möglich, daß die Kinder nach einer vorab festgelegten Zeit wieder zu den Eltern zurückkehren. Es ist aber ebenso möglich, daß sie bei den Pflegeeltern bleiben, bis sie erwachsen sind. Wichtig ist, daß die Herkunft des Kindes respektiert wird, auch wenn manche Verhaltensweisen der Eltern vielleicht fremd erscheinen. Der Kontakt zu den Eltern ist für die Kinder eine wichtige Voraussetzung, damit sie sich später mit ihrer Geschichte und mit ihrer Herkunft auseinandersetzen können.

2) Werden Kinder im Wechsel und jeweils nur für einige Wochen oder Monate aufgenommen, spricht man von Bereitschaftspflege beziehungsweise zeitlich befristeter Vollzeitpflege.

Bereitschafts-Pflegefamilien entlasten die Eltern nur vorübergehend von familiären Verpflichtungen. Eine schwere Krankheit in der Familie, eine handfeste Ehekrise, Armut, psychische Probleme oder die Suchterkrankung eines Elternteils können Hintergrund sein, warum ein Kind nicht zu Hause versorgt werden kann.

3) "Paten" leisten eine Art Nachbarschaftshilfe für Kinder, deren Eltern psychisch krank oder noch sehr jung sind. Die Kinder leben zu Hause, können aber zu vorab vereinbarten Zeiten zu ihren Paten kommen, sich aussprechen und ihre Sorgen und Nöte jemanden mitteilen. In Krisenzeiten nehmen Paten die Kinder auch bei sich auf. Es ist wichtig, daß Paten bereit sind, mit den Eltern zusammenzuarbeiten, damit die Kinder nicht in Loyalitätskonflikte geraten. Paten sind aber nicht für die Probleme der Eltern zuständig, sie sind in erster Linie für die Kinder da. Quelle:
 
     
     
 
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