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Die Rätsel von Bremen

 
     
 
Die Landtagswahlen in Bremen, dem kleinsten deutschen Bundesland, geben auf den ersten Blick Rätsel auf. Völlig gegen den bundesweiten Trend der Meinungsumfragen konnten die Sozialdemokraten zulegen. Die Große Koalition von SPD und CDU unter dem Bürgermeister Henning Scherf (SPD) wurde von den Wählern eindrucksvoll bestätigt und kann sich auf 89 der 100 Sitze in der Bürgerschaft stützen – eine fast erdrückende Mehrheit.

Schon spricht der Bremer Politikwissenschaftler Lothar Probst von einer Wiedergeburt der Volksparteien
. Dieser Schluß ist jedoch voreilig. Die Sozialdemokraten in der Hansestadt haben sich von ihrem historischen Tief, das sie bei den Landtagswahlen vor vier Jahren erreicht haben, erholt. Damals spaltete sich eine lokale Wählervereinigung mit dem Namen "Arbeit für Bremen" (AFB) von der SPD ab und holte auf Anhieb zehn Prozent. Diesen Erfolg konnte die AFB nicht wiederholen. Die Wähler wanderten größtenteils zurück in die alte sozialdemokratische Heimat, zumal deren Führungschef Scherf sich vom strammen Linksaußen zu einer fast väterlichen Bürgermeisterfigur gewandelt hat.

Interessanter werden die Bremer Wahlergebnisse, wenn sie mit dem Stimmverhalten in der Hansestadt bei der letzten Bundestagswahl am 27. September letzten Jahres verglichen werden. Dabei wird deutlich, daß die SPD trotz Scherf und trotz des Verschwindens des AFB ihre bei der Bundestagswahl gewonnenen 50 Prozent nicht halten konnten, sondern rund acht Prozent verloren. Denn bei der Bürgerschaftswahl erzielten sie 42,6 Prozent.

Dies läßt nur den Schluß zu, daß die SPD auch in Bremen vom bundesweiten Negativ-Trend für die Bonner Regierung nicht verschont geblieben sind. Ohne das rot-grüne Chaos, ohne die verunglückte Neuregelung der 630-Mark-Jobs hätte Scherf weit über 50 Prozent bekommen müssen. Die CDU blieb trotz des Rückenwindes aus Bonn unter 40 Prozent stecken, auch wenn die erzielten 37,1 Prozent das beste CDU-Ergebnis in der bremischen Geschichte darstellen.

Natürlich feierten sich SPD-Chef Gerhard Schröder und der CDU-Vorsitzende Wolfgang Schäuble wegen des glanzvollen Abschneidens ihrer Parteien. Der Wein für die Siegesfeiern wird durch einige Wermutstropfen getrübt. Denn SPD und Union müssen sich um ihre jeweiligen Koalitionspartner in anderen Ländern oder auf Bundesebene sorgen. Die FDP blieb sogar hinter dem Ergebnis der Deutschen Volksunion (DVU) des Münchner Verlegers Frey zurück. Die Liberalen verschwanden in die politische Bedeutungslosigkeit und verschlechterten sich um 0,9 auf 2,5 Prozent. Damit sinkt der Stern des FDP-Chefs Gerhardt weiter. Scheitern die Liberalen auch bei der Europawahl, was allgemein erwartet wird, dürfte bei der FDP eine Führungsdebatte ausbrechen. Das könnte auch das Ende des Versuchs bedeuten, aus der FDP eine rechtsbürgerliche Oppositionspartei zu machen.

Gerhardts potentieller Nachfolger, Rainer Brüderle und Guido Westerwelle, stehen für die sozialliberale Option. Beide wollen – im Gegensatz zu Gerhardt – die FDP auf die Rolle eines Mehrheitsbeschaffers reduzieren. Und diese Rolle läßt sich derzeit am besten mit der SPD spielen. Jürgen Möllemann, der Strippenzieher gegen Gerhardt im Hintergrund, soll im nächsten Jahr ein sozialliberales Bündnis in Nordrhein-Westfalen installieren.

Die Grünen wurden in ihrer Hochburg Bremen mit einem Verlust von 4,1 Prozent auf Normalmaß reduziert. Die einst pazifistisch orientierte Partei bekommt nun die Folgen ihres inneren Strukturwandels zur pragmatisch-opportunistischen Regierungspartei zu spüren. Knapp neun Prozent in einer Großstadt sind da kein günstiges Vorzeichen. Es zeigt sich, daß der auf dem Bielefelder Grünen-Parteitag knapp beschlossene Kurs einer Unterstützung der Nato-Luftangriffe viele Wähler kostet. Schon fand sich die Opposition zu einem Netzwerk-Treffen in Dortmund mit dem Aufruf zusammen, den "Kriegsparteien" bei den Europawahlen die Stimme zu verweigern.

Scherf und die Große Koalition haben sich in Bremen stabilisieren können. Die Wahl zeigt aber, daß das deutsche Parteiensystem weiter in Bewegung ist.

 
     
     
 
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