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Die mit den Pflanzen spricht

 
     
 
Spätestens im April, wenn die Zeit der Nachtfröste vorbei ist, zieht es mich bewaffnet bis an die Zähne mit Harke, Spaten und Hekkenschere hinaus in unseren Reihenhausgarten. Kopfschüttelnd sitzt Dieter, mein treuer Ehemann, in der warmen, gemütlichen Küche und betrachtet besorgt meinen Arbeitseifer.

Ich ignoriere seinen skeptischen Blick und begutachte die vernachlässigten Blumenbeete und Rabatten, die nach der langen Winterruhe ziemlich ramponiert aussehen. Da hilft nichts, sage ich mir tapfer und gr
eife zum Spaten. Ich grabe, hacke und harke, bis sich nach Stunden mein Rücken schmerzhaft meldet.

Stöhnend richte ich mich auf und genehmige mir eine kleine Pause. Stolz schweift mein Blick zu den kleinen Beeten am Rande der Sitzecke. Dort blüht im Sommer dunkelblauer Rittersporn, und ich habe so manchen lauen Sommerabend träumend im Liegestuhl verbracht. Das unermüdliche Gedudel des Kassettenrecorders von nebenan gehört für mich ebenso dazu, wie das Geschrei der Kinder, wenn sie wieder einmal nicht ins Bett wollen.

Ich denke an meine erste Wohnung in dem großen Mietshaus in der Stadt. Der winzige Balkon vor meinem Wohnzimmer hatte sich innerhalb eines Jahres zu einem wilden Dschungel entwickelt. Eine Unmenge Tontöpfe mit rankenden Gewächsen stand um den wackeligen Gartenstuhl herum, auf dem ich glücklich saß und für mein Examen lernte.

Ich hegte und pflegte meine Pflanzen so lange, bis sich durch das ständige Gießen der unter mir liegende Balkon zu einem wahren Feuchtbiotop entwickelt hatte. Auf ausdrücklichen Wunsch des Vermieters entfernte ich schließlich etwa die Hälfte der Blumentöpfe.

Nach einigen Jahren der Selbständigkeit zog ich dann zu meiner Oma aufs Land. Oma Trinchen war Gärtnerin mit Leib und Seele. Sie hatte die Angewohnheit mit den Pflanzen zu sprechen. "Guten Morgen, ihr Lieben", rief sie, wenn sie morgens den Garten hinter dem Haus betrat, um nach dem Rechten zu sehen. Dann begutachtete sie zuerst den großen Ginsterbusch am Hühnerstall. Zart strich sie mit ihren runzeligen Händen über die neuen, frischen Triebe und murmelte leise unverständliche Worte. Die Pflanzen und Blumen dankten ihr diese unermüdliche Zuwendung mit herrlichen Blüten und gesundem Wachstum.

"Pflanzen haben eine Seele", sagte Oma Trinchen und knipste ein welkes Blatt vom Hibiskusstrauch. In ihrem Garten wuchsen die größten Gurken und die saftigsten Tomaten.

Am Tag, als Oma Trinchen starb, verlor der Ginster all seine grünen Triebe. Die Nachbarn sagten, es wäre Zufall, ich glaube aber, der Ginster hat genau gewußt, was geschehen war. - Oma Trinchens Blumengarten wurde von dem neuen Besitzer des Hauses in einen Tennisplatz verwandelt. Ich bin nie wieder dort gewesen.

Dieter sagt, ich habe den "Grünen Daumen" von Oma Trinchen geerbt. Wenn sich unser Reihenhausgarten im Sommer in ein wahres Blütenmeer verwandelt, vergißt man schnell, wieviel mühsame Arbeit in so einem kleinen Stückchen Land steckt.

Seufzend greife ich wieder zum Spaten. Die Funkienstauden müssen unbedingt noch geteilt werden. Sie sind in den letzten Jahren so stark gewachsen, daß die zarten Anemonen total erdrückt werden.

"Mama, wann gibt es etwas zu Essen?" Sandra kommt um die Hausecke und stapft quer durch das frisch geharkte Beet.

Du liebe Zeit, ich habe total die Zeit vergessen. Ist es denn schon Mittag? "Ich habe hier noch zu tun, schmier dir doch bitte ein Butterbrot." Sandra verzieht das Gesicht und schüttelt den Kopf. "Gib mir mal Geld, dann gehe ich mir einen Hamburger holen."

"Bring Papa auch einen mit ..."

Ich betrachte mit sorgenvoller Miene die frischen Maulwurfshügel, die seit heute Morgen das Narzissenbeet verunstalten. Seufzend greife ich zum Spaten und ignoriere tapfer den schmerzenden Rücken.

Die Terrassentür geht auf und mein Mann kommt den Gartenweg hinunter. "Möchtest du vielleicht auch einen Hamburger? Sandra und ich fahren in die Stadt. Wir könnte dir etwas mitbringen."

Ich lehne mich einen Augenblick an den Pflaumenbaum und atme tief durch. "Nein, ich mache erst den Garten fertig. Fahrt ruhig."

Dieter sieht mich noch einmal besorgt an und geht dann zurück ins Haus. Er weiß genau, daß spätestens morgen alles wieder seinen geregelten Lauf nehmen wird.

Kurze Zeit später höre ich unser Auto aus der Garage fahren. Mit Eifer mache ich mich wieder an die Arbeit. Ich hacke, grabe und harke bis in den späten Nachmittag hinein. Die Clematis bekommt eine neue Rankhilfe, und der Rosenstock kann von seinem Wintermäntelchen befreit werden. Erst als jeder Busch geschnitten, jedes Stück Erde umgegraben und jedes Beet neu angelegt ist, bin ich zufrieden.

Mit schmerzenden Füßen und gebeugtem Rücken gehe ich ins Haus. Mein Mann hilft mir liebevoll aus den schmutzigen Gummistiefeln, Sandra läßt ein heißes Bad ein und der Verbandkasten mit dem Blasenpflaster steht auch schon bereit. Dankbar tauche ich in den duftenden Schaum und trinke von der süßen Schokolade, die meine Tochter mir reicht.

Bevor mir die Augen zufallen höre ich gerade noch wie Dieter sagt: "Wenn sich das Jahr zu Ende neigt, der Gärtner in die Wanne steigt ..."

Helga Licher
 
     
     
 
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