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Wenn man von Europa spricht (oder auch auf Europa schimpft), denkt man in aller Regel nicht gerade an den Europarat. Diese älteste europäische Institution, gegründet von zehn Staaten am 5. Mai 1949, agiert meist im Schatten der öffentlichen Wahrnehmung, was bei bestimmten Gelegenheiten außerordentlich bedauerlich ist.
Zum Beispiel am Mittwoch der vergangenen Woche: Auf der Tagesordnung stand die Beratung des Dokuments 10765 („International condemnation of the crimes of totalitarian communist regimes/condamnation internationale des crimes des régimes communistes totalitaires“). Eine deutsche Übersetzung des – inzwischen bei geringfügigen Änderungen beschlossenen – Dokuments lag und liegt nicht vor – offenkundig gab es daran keinerlei Interesse.
So ergriffen denn im Palais d’Europe zu Straßburg insgesamt 63 Debattenredner das Wort zum Thema „Verurteilung der Verbrechen totalitärer kommunistischer Regime“ – die 18 deutschen Delegierten der Parlamentarischen Versammlung des Europarats hingegen machten durch konsequente Sprach- und Ratlosigkeit auf sich aufmerksam.
Umso engagierter beteiligten sich Vertreter der ehemals kommunistischen, erst seit den 90er Jahren dem Europarat angehörigen Staaten an der kontroversen Debatte. Insbesondere die Delegierten aus den drei baltischen Republiken hinterließen mit ihren Redebeiträgen einen tiefen Eindruck. Eher befremdlich hingegen wirkten Beiträge aus Ländern wie Griechenland; letztlich bestätigte sich wieder einmal die These, daß die glühendsten Verehrer von Karl Marx außerhalb des Machtbereichs real existierender Marxisten anzutreffen sind.
Vehement, wenngleich nicht überaus erfolgreich, wehrten sich die Repräsentanten diverser postkommunistischer Wendeparteien gegen das Ansinnen, in der Resolution auch zu mißbilligen, daß viele eben dieser Parteien sich bis heute nicht glaubwürdig von den Verbrechen der früheren totalitären Regime distanziert haben – Verbrechen, an denen sie selbst, wenn auch unter anderen Namen, aktiv beteiligt waren.
Und dabei geht es nicht um „Kleinigkeiten“. Massive Menschenrechtsverletzungen waren, so der Resolutionstext, geradezu das Charakteristikum der totalitären kommunistischen Regime – „without exception“, ohne Ausnahme, wie ausdrücklich hervorgehoben wird. Die Auflistung der Verbrechen reicht von Deportationen, Folter und Zwangsarbeit bis zu Hinrichtungen, Massenmorden und systematischem Verhungernlassen in Konzentrationslagern. Daran wollen die umbenannten Wendekommunisten natürlich nicht gern erinnert werden.
Gegenwehr gab es auch gegen einen Passus, in dem darüber geklagt wird, daß der Zusammenbruch des kommunistischen Machtbereichs leider nicht dazu geführt habe, die Verbrechen zu untersuchen und die Täter strafrechtlich zu belangen, wie dies bei nationalsozialistischen Verbrechen sehr wohl der Fall gewesen sei.
Gerade dieser Satz im Resolutionsentwurf hätte die deutschen Delegierten eigentlich animieren müssen, sich lebhaft und leibhaftig in die Debatte einzubringen. Aber vielleicht waren einige von ihnen zu diesem Zeitpunkt ja gerade mal wieder mit der erneuten Aufarbeitung des älteren dunklen Kapitels der deutschen und europäischen Geschichte beschäftigt.
Wie ehrlich und glaubwürdig aber diese „Erinnerungskultur“ mit all ihren Schuldzuweisungen, Selbstbezichtigungen, Einseitigkeiten und Entschuldigungsritualen wirklich ist, erhellt sich auch daraus, daß die einzige Aktivität deutscherseits darin bestand, im Vorfeld der Europaratsdebatte schriftlich zu beantragen, den Hinweis auf die NS-Verbrechen zu streichen.
So setzt man sich wenigstens nicht dem Verdacht aus, der „falschen“ Opfer zu gedenken. Juliane Meier |
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