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Du sollst nicht töten

 
     
 
Die Bilder vom 11. September sind unauslöschlich: Vollbesetzte Verkehrsflugzeuge, von skrupellosen Terroristen entführt, steuern als fliegende Brandbomben auf Gebäude zu, in denen sich Tausende unschuldiger Menschen aufhalten.

Diese Bilder hatten natürlich auch die Bundesverfassungsrichter vor Augen, als sie über das Luftsicherheitsgesetz zu befinden hatten, insbesondere über die Grundsatzfrage, ob ein Staat töten darf, um Leben zu retten. Was kann, darf, muß der alleinige Inhaber des Gewaltmonopol
s tun, wenn zum Beispiel eine vollgetankte und vollbesetzte Maschine erkennbar und erklärtermaßen auf ein Fußballstadion gestürzt werden soll, in dem gerade ein WM-Spiel stattfindet? Darf das Militär die Zivilmaschine abschießen, darf es 100 oder 200 Menschen bewußt töten, damit fünfzig- oder sechzigtausend nicht getötet werden?

Mancher wird zunächst einmal dazu neigen, hier zu sagen: Ja, so schmerzlich es auch ist, aber das ist eine Frage der Abwägung; Zigtausende wiegen nun einmal mehr als Hunderte. Zumal man ja davon auszugehen hat, daß die Insassen der entführten Maschine, läßt man die Täter gewähren, ohnehin ihr Leben verlieren werden. So makaber und kalt es klingen mag: Ist es nicht egal, ob diese bedauernswerten Menschen nun ein paar Minuten früher oder später sterben? Ob sie die Luftabwehrrakete der eigenen Streitkräfte tötet oder die Explosion des Kerosins, das sie eigentlich an ferne Ziele tragen sollte?

Die Richter in Karlsruhe werden alle diese Fragen sorgfältig bedacht haben, und schließlich sind sie zu einer respektablen Entscheidung gekommen: Der Schutz des Lebens - jedes einzelnen Lebens! - hat absoluten Vorrang vor allen anderen Rechtsgütern.

Politiker wie der Stellvertretende Fraktionschef der Union, Bosbach, sehen in diesem Urteil eine Niederlage für den amtierenden Innenminister Schäuble wie auch für seinen Vorgänger Schily. Generalbundesanwalt Nehm warnt gar: "Wir sitzen auf einem Pulverfaß." Sie alle sind darum keine schießwütigen Rambos, haben bedenkenswerte Gründe für ihre Haltung. Dennoch müssen sie sich kritisch ins Stammbuch schreiben lassen: zu kurz gedacht!

Es geht hier um Tod oder Leben. Und das ist nicht nur eine Frage aller möglichen praktischen oder sicherheitspolitischen Erwägungen. Das ist eine Grundfrage unseres Wertesystems, dem wir uns verpflichtet fühlen und das wir zu schützen und zu bewahren haben.

Wie wir dieses Wertesystem nennen - ob Leitkultur, ob abendländische, deutsche oder preußische Tugenden -, ist nicht so wichtig; auf den Inhalt kommt es an. So entscheidet sich an dieser Frage, wie religiös, wie christlich unsere Gesellschaft überhaupt noch ist. Im Alten Testament, das uns Christen genauso heilig ist (oder sein sollte) wie das Neue, steht als Fünftes Gebot: "Du sollst nicht töten". Nicht mehr und nicht weniger, keine Einschränkung, keine Ausnahme, keine Möglichkeit der Interpretation. (Wie übrigens auch beim absoluten Folterverbot, einem weiteren Glanzpunkt der preußischen Geschichte.)

Daraus folgt: Das Leben hat uns Gott gegeben, nur er kann und darf es uns nehmen. Wer tötet, unter welchen Umständen auch immer, pfuscht Gott ins Handwerk, schlimmer noch, er maßt sich an, selber Gott zu sein. Ein Staat, der einer solchen Anmaßung den Rang eines Gesetzes verleiht, setzt damit die christliche Basis seines Wertesystems außer Kraft.

Darum haben die Verfassungsrichter in diesem Falle richtig geurteilt. Man fragt sich nur, warum sie nicht auch in anderen Fällen so konsequent auf dem Fundament christlicher Grundwerte geblieben sind - zum Beispiel, als sie über den Schutz des ungeborenen Lebens im Mutterleib zu entscheiden hatten.
 
     
     
 
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