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Ein Himmelsgeschenk

 
     
 
Papsttum und Protestantismus hat Jahrhunderte lang ein Verhältnis verbunden, das dem von Feuer und Wasser entspricht: also keines. Oder genauer: ein radikal negatives. Dafür gab es, kirchengeschichtlich gesehen, bedauerlicherweise "gute" Gründe: die geradezu öbszöne Verweltlichung vor allem der Renaissance-Päpste mit Ämterschacher, Ablaßhandel, theologischen Dogmen und amtskirchlichen Konstruktionen, denen jegliche Legitimation durch die Heilige Schrift
fehlte. Für Luther, den vom ursprünglichen Ziel seiner Kritik an der alten Kirche her eher unfreiwilligen Stifter einer neuen, der evangelischen, waren jene Erscheinungen nach den Maßstäben des Evangeliums, der einzigen Instanz, der er sich unterwarf, allesamt Irrglaube, Irrlehre und deshalb abgrundtief falsch, ja böse. In Rom saß zuletzt kein anderer für ihn auf dem Papstthron als der Teufel persönlich, und mit dem konnte es naturgemäß keine Kompromisse geben. Luther spitzte gerne zu, und schon sein engster Mitstreiter, Philipp Melanchthon, folgte ihm dabei nur selten. Obgleich Schöpfer der ersten protestantischen Dogmatik, war er Zeit seines Lebens bemüht, den Riß zwischen Rom und Wittenberg überwinden zu helfen. Als humanistisch gebildeter Theologe stand er in vorderster Front der Einigungsbemühungen zwischen den Konfessionen, verfaßte das protestantische Grundsatzdokument "Confessio Augustana" und arbeitete so dem Augsburger Religionsfrieden von 1555 zu.

Radikale Lutheraner hielten ihn deshalb für kryptokatholisch. Luther selbst jedoch hat ihn nie fallenlassen. 450 Jahre später sieht die Welt anders aus, aber nicht nur die Welt. Auch das Verhältnis zwischen den Hochkirchen hat sich gewandelt, und zwar radikal. Der Hauptgrund dafür dürfte nicht nur in der normativen Kraft des Faktischen liegen, das heißt in der Tatsache purer Fortexistenz beider Kirchen durch die verflossene Zeit. Er hat vielmehr mit dem Totalangriff der säkularen Moderne auf das Christentum allgemein zu tun und damit auf das christliche Menschenbild schlechthin. Vorgaukelnd eine moralische Autonomie, die der Mensch von seinem inneren Vermögen niemals haben kann, hat sie ihm nur Varianten materialistischer Glaubenssurrogate angedient. Vor allem sie haben den Menschen des 20. Jahrhunderts in den Sog der politischen Religionen des Totalitarismus und damit in ungeheure sittliche Katastrophen getrieben. Zur Stunde ist davon der Aberglaube an den totalen Kapitalismus übriggeblieben. Am folgenreichsten diesem Prozeß ausgeliefert ist von beiden Kirchen die protestantische. Sie hat, aus vielerlei Gründen, einen Verweltlichungsabstieg hinter sich, den Luther, lebte er heute, zum Anlaß einer Radikalkritik an Haupt und Gliedern nehmen würde. Vom "allgemeine Priestertum der Gläubigen", das Luther seinerzeit noch voraussetzen und zur Ausgangsbasis seiner Reform machen konnte, existieren nur noch Schwundstufen. Aber auch der katholischen Kirche, zumindest in Europa, vor allem aber in Deutschland, weht der säkulare Erosionswind ins Gesicht.

Doch genau diese Bedrohung, die nicht nur auf uralte Institutionen und ihre transzendentale Verankerung zielt, sondern den Menschen, der ihres Schutzes bedarf, in Egoismus, Vereinsamung und Gottesferne führt, läßt zwischen den Kirchen Hoffnung auf ein neues, intensiveres Augsburger Zeitalter wachsen. Schon der verstorbene Papst Johannes Paul II. hat daran gearbeitet. Der neue, deutsche - Benedikt XVI. - dürfte hier noch Wunder bewirken. Wer seine Bücher genau liest, weiß, daß das keine grundlose Spekulation ist. Der begnadete Theologe auf dem Papstthron ist darum auch für die Kirche Luthers ein Himmelsgeschenk, und es sieht ganz so aus, als wäre dies durchaus kein kryptokatholischer Gedanke, sondern schlicht ein ökumenischer augsburgischer Notwendigkeit.
 
     
     
 
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