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Spekulation mit der Not anderer

 
     
 
Die russische Finanz- und Wirtschaftskrise macht natürlich auch vor dem nördlichen Ostdeutschland nicht halt. Ganz im Gegenteil. Königsberg und Umgebung trifft diese Krise mit ihrer vollen Härte. Bekanntermaßen leben die Menschen im Gebiet in großer Abhängigkeit vom Import. Rund 80 Prozent aller Ge- und Verbrauchsgüter wurden bis zum Beginn der Krise importiert. Nach dem Verfall des Rubel – für den Dollar bekommt man in den offiziellen Wechselstuben bis zu 11 Rubel, das sind annähernd 80 Prozent mehr als vor der Krise – ist der Import zunächst auf Null zurückgegangen. Spediteure und Importe
ure bestätigten in Gesprächen, daß an Importe nicht zu denken sei.

Doch trotz voller Lager sind die Preise aller Importwaren, obwohl noch zum alten Dollarkurs gekauft, um bis zu 100 Prozent gestiegen. Führend bei den Preissteigerungen sind Benzin, alkoholische Getränke und Zigaretten. Unmittelbar am Tag der Bekanntgabe der offiziellen Abwertung des Rubel begannen die Menschen mit ersten Hamsterkäufen. Doch im Gegensatz zu früheren Finanzkrisen waren es zunächst die hochwertigen Güter wie Kühlschränke, Waschmaschinen und Fernseher, die man noch schnell für die angesparten Rubel kaufte. Erst in der Zweiten Etappe, vor allem nach dem weiteren Sturz des Rubels, begann auch der Run auf Nahrungs- und Genußmittel. Viele versuchen noch heute, Dollar oder D-Mark zu kaufen, allerdings haben die meisten Banken den Verkauf von Devisen praktisch eingestellt oder verkaufen sie zu exorbitant hohen Kursen. Allerdings ist wie überall in Rußland der noch von der Regierung Kirijenko festgelegte Korridor, nach dem der Dollar für maximal 9,50 Rubel verkauft werden darf, schon längst außer Kraft gesetzt. Wie weit der Rubel noch fallen wird, mag zum jetzigen Zeitpunkt niemand zu sagen, dies ist nun auch immer mehr abhängig von der politischen Krise in Moskau, die sich immer mehr zuspitzt. Vor dem Hintergrund des gesamtwirtschaftlichen Chaos in diesem riesigen Rußland mutet es geradezu grotesk an, was sich zur Zeit auf der politischen Bühne in Moskau abspielt. Ungeachtet aller sozialen und wirtschaftlichen Folgen versuchen alle politischen Gruppierungen, allen voran wohl die Kommunisten, ihr eigenes Süppchen zu kochen und gestärkt aus dieser Krise hervorzugehen. Quo vadis Rußland? Niemand vermag es zu sagen, und das Vertrauen der Bevölkerung, zuvorderst in Präsident Jelzin, schwindet von Tag zu Tag mehr. Dies vor allem wegen der sich spürbar verschlechternden Situation.

Je länger das politische Ränkespiel in Moskau dauert, und wer kann schon prophezeien, wie lange dies noch andauern wird, desto schwieriger wird die Situation der Menschen im Lande, auch im Königsberger Gebiet. Schon jetzt sind einzelne Lücken in den Regalen der Kaufhäuser zu sehen, zur Zeit ist dies aber eher eine Folge der Spekulationen vieler Kaufleute, die Grundnahrungsmittel erst nach erneuter Preiserhöhung aus ihrem Lager holen. Noch nicht absehbar ist der Zeitpunkt, zu dem es wirklich zu erheblichen Mängeln in der Versorgung kommen wird. Doch je länger diese politisch desolate Situation dauert, desto wahrscheinlicher wird es, daß es zu einer solchen Situation kommen wird. Doch es trifft schon jetzt, wie immer, zuerst die armen Menschen, die sozialen Einrichtungen mit ihren knappen finanziellen Ressourcen können die laufenden Preiserhöhungen nicht mehr auffangen. Trotz allem ist es noch ruhig in Königsberg. Bankenstürme, wie in Moskau, waren bisher nicht zu beobachten, und das verstärkte Kaufverhalten der Bürger läuft noch in ruhigen Bahnen ab. Es bleibt auch für die Bewohner Nord-Ostdeutschlands zu hoffen, daß bei den politischen Führern in Moskau die Vernunft obsiegt und dies nicht lange auf sich warten läßt. Das, was Rußland jetzt braucht, sind Ruhe und politische Stabilität und in deren Folge ein konsequenter wirtschaftlicher Reformkurs. BI

 

 

 
     
     
 
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