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Ein Sommersonntag auf dem Kerstinsee

 
     
 
Am 11. August 1935, einem Sonntag, sollte in der Nachbarstadt Rastenburg ein großer Volksflugtag sein mit Flugvorführungen, Ausstellung der neuesten Militärflugzeuge und Hubschrauber, mit Rundflügen, Verlosung von Flügen. Alle wollten hin, Großvater, Vater und Sohn - besonders natürlich ‚Sohn . Aber als mein Vater mich zwei Tage vorher fragte: "Ich hab für sonntags die Bootsschlüssel vom Kerstinsee, möchtest nicht mitkommen?", da gab s kein Überlegen: Wasser war mir viel wichtiger als Luft, wenn in diesem Wasser Fische waren.

Franz, unser Chauffeur, sollte uns beide also Sonntag früh, so gegen halb fünf, abholen und zum See bringen und danach mit den Fluginteressierten tagsüber nach Rastenburg fahren. Uns sollte er dann gegen acht Uhr abends wieder zurück nach Sensburg bringen. Alles war abgesprochen und vorbereitet, nur - es war schon fünf, doch von Franz keine Spur.

Das Auto stand in der Stadtmühlen-Garage. Von unserer Wohnung waren das vielleicht fünfhundert Meter. "Vielleicht hat er den Garagenschlüssel vergessen und bekommt die Tür nicht auf", sagte mein Vater, "fahr doch schnell mit dem Rad hin und bring ihm meinen." Aber: Nichts, das Auto stand ungestört drin. Ich also zu Franzens Wohnung. Verschlafen kann ja jeder mal, besonders wenn man nicht aufstehen will, sondern muß. "Ja", sagte Marie, seine Frau, "der ist doch längst weg." Ich also schleunigst zurück, da, kurz vorm Krankenhaus, eine schwarze Katze von links über die Straße. Na, das kann ja gut werden heute, dachte ich. Erst die Verspätung und jetzt auch noch das! Für alle Fälle spuckte ich dreimal nach rechts.

Das Auto stand vor unserer Wohnung, mein Vater war schon drin. Franz saß seelenruhig am Steuer. "Fünf Uhr, hatte ich geglaubt", sagte er, "und ich war da auch an der Garage, mußte aber den Schlüssel vom Mühlenverwalter holen, weil jemand gestern abends spät noch weggewesen war."

Kurz vor sechs waren wir dann glücklich am Wasser. Der Tag versprach heiter und sonnig zu werden. Nachdem wir zunächst am Auslauf des Sees unser Glück versucht hatten - leider vergeblich - , kamen wir am frühen Nachmittag an die vorspringende kleine Landzunge, die den hintersten Teil des Sees sozusagen begrenzte. Kaum hatten wir hier die Angeln
ausgeworfen, wurden die Schwimmer auch schon in die Tiefe gezogen, ja, geradezu gerissen: Barsche, Barsche, Barsche, und was für welche! Einer wie der andere, so etwa halbpfündig. Manchmal schossen sie direkt aus der Tiefe nach oben, kaum, daß unsere Angeln mit den Köderfischchen sich senkten. Bald hatten wir keine mehr, und wir versuchten es mit Würmern. Aber nur ein paar kleine, mickrige Barsche fanden daran Spaß. Wegfahren, um an anderer Stelle Köderfische mit der Senke zu fangen, wollten wir eingedenk alter Erfahrung, daß gute Beißgelegenheiten kein zweites Mal kommen, nicht, also rationierten wir. Plötzlich bog um die Schilfecke ein anderes Ang-lerboot. Und bald hingen vier Angeln in den paar Quadratmetern dieser Stelle. Auch für die Neuen waren noch Barsche da.

Den Flugtag in Rastenburg hatten wir längst vergessen, als über uns ein leises Brummen zu hören war. Und da sahen wir das Flugzeug auch schon, nicht so sehr hoch, schräg über den See in Richtung Sensburg fliegen. Langsam und gemächlich ruderten wir bald nach Kerstinowen zurück. Die Sonne neigte sich auch schon den waldigen Höhen westlich des Sees zu. Wir aber waren von einer inneren Ruhe, Ausgeglichenheit und Freude erfüllt, die uns nichts, aber auch gar nichts sonst hätte geben können. Ein glück-voller Tag - trotz der schwarzen Katze!

Franz war diesmal pünktlich da und erzählte, wie interessant es in Rastenburg gewesen sei und daß mein Freund Fritz, Sohn unseres Müllermeisters in Mühlenthal, bei der Verlosung den Hauptpreis, einen halbstündigen Rundflug, gewonnen hätte. Vielleicht hatte er also sogar in dem Flugzeug gesessen, das wir über dem See gesehen hatten. Von Rastenburg bis hierher waren es ja kaum 15 Kilometer. So interessant das alles ja sein mochte, wir hörten nur mit halbem Ohr zu, weil die Melodie von Wasser, Wald und Wind, die Harmonie der Heimatlandschaft, alles andere in uns übertönte.

 

Ernst Mollenhauer: Abendfrieden in Nidden. Der Maler wurde am 27. August 1892 in Tapiau geboren. Lange Jahre lebte und arbeitete er auf der Kurischen Nehrung. Dort und später aus der Erinnerung entstanden seine eindrucksvollen Werke von

Nidden und der Nehrung. Er starb 1963 in Düsseldor
 
     
     
 
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