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Die Schillerstadt Marbach am Neckar, seit je im Gedankenkreis des nahen Hölderlin-Zentrums Tübingen gelegen, pflegt ihre neueste Attraktion: das Literaturmuseum der Moderne (LiMo) des deutschen Literaturarchivs auf der Schillerhöhe, unmittelbar neben dem Schiller Nationalmuseum. Dort, wo der Dichter des Wallenstein vor 250 Jahren in einem einzigen kargen Raum sein Leben begann, ist wenige Gehminuten entfernt eine tempelartige Repräsentationsanlage entstanden. Darin werden Schriftzüge und Dokumente von Schriftstellern und Menschen, die auch geschrieben haben, aus drei Jahrhunderten, das heißt vom Ende des 19. bis zum Anfang des 21. Jahrhunderts, in optisch bestrikkenden, sanft beleuchteten, hohen Glasvitrinen ausgestellt.
Wer den heiligen Hain weißgekalkter Säulen betritt, ist schon bald von unsichtbare r Götterhand in Glas und dunklem Holz gefangen, dem Hinweis der Aussteller gemäß: "Von alters her wohnen Götter und Musen an außergewöhnlichen Orten." Das antike Flair begleitet den Besucher schattengleich bis ins Unterirdische, kühl und verführerisch.
Hinter Glas kann er dann die ach so unterschiedlichen Handschriften der berühmtesten Federn auf sich wirken lassen: 1500 Exponate, ausgewählt aus über 1100 Schriftsteller- und Gelehrtennachlässen mit mehr als 50 Millionen Einzelblättern, 800000 Bibliothekseinheiten und 200000 Kunstgegenständen, die in Marbach zur Zeit aufbewahrt werden.
Von Hofmannsthal bis Hannah Arendt, von Rilke bis Günter Kunert, von Arno Holz bis Ingeborg Bachmann, von Alfred Döblin bis Hans Joachim Schädlich. Kostbarstes Exponat: das handgeschriebene Manuskript Franz Kafkas von seinem "Process". Eigenwilligstes: Hubert Fichtes undurchschaubare Arbeitsablaufskizze, die einem schraffierten Dreieck ähnelt.
Historisch bemerkenswert: eine Originalunterschrift Adolf Hitlers unter einem Fünf-Zeilen-Brief an Ernst Jünger, mit dem er sich 1926 für eine Widmung des Schriftstellers bedankt, der übrigens mehrfach in immer neuen Zusammenhängen vertreten ist. Zum Beispiel mit einem Brief an Otto Dix oder seinem Reisetagebuch. Beide aus dem Jahr 1959. Der Historie ordnet sich auch die Einlaßkarte zur Abgeordneten-Tribüne für Harry Graf Kessler mit seiner handschriftlichen Notiz "Tag der Ermordung Rathenaus" wie desgleichen das Flugblatt der Pariser Studentenrevolution von 1968 aus dem Nachlaß von Paul Celan unter, samt dem Vermerk "Mit Reifenspur".
Die wechselnden Zusammenhänge gehören zum Konzept, das dem Besucher alle Freiheit der Betrachtung lassen und nichts voraussetzen will. Ein weites Feld, und Fontane ist natürlich auch dabei, ebenso wie Walter Kempowski oder Wolf Biermann. Alle unter Glas versammelt als Part "nexus", der den Bestand des Marbacher Archivs dokumentiert, während "stilus" den "Bestand der Literatur" wiedergeben will. Der dritte, der kleinste Raum, mit der Bezeichnung "fluxus", fixiert frei nach Josef Beuys "den ausgestellten Augenblick der ästhetischen Erfahrung" und ist derzeit dem Literaturhistoriker und Verleger Klaus Wagenbach gewidmet. Er nutzt ihn dafür, "auf Bitten des LiMo" seine Erfahrungen und Leidenschaften den neun Musen zuzuordnen, auch Ulrike Meinhof und Gudrun Ensslin als Schriftstellerinnen zu präsentieren. Und schon wieder muß man an Fontanes Luise denken ... Aber die echt weihevolle Atmosphäre läßt den Betrachter vor allem bei der Auswahl aus den Beständen des Marbacher Archivs verweilen, wo er natürlich auch Hermann Hesse und Alfred Döblin, Gottfried Benn oder gar Greta Garbo in einem Brief an ihre Freundin Salka Viertel oder Marlene Dietrich in einem Telegramm an Erich Kästner begegnet.
Kombinationen wie Schriftzügen sind keine Grenzen gesetzt. Alle wurden sie aus dem Archiv geholt, das von Günter Kunert nach eigenem Bericht "zwei VW-Busse voller Papier" abtransportierte und von Kempowski, wie er selbst sagt, "zwei Zettel" in Empfang nahm. Einer fällt dabei durchs Rost: Siegfried Lenz, von dessen Freunden Grass und Reich-Ranicki durchaus Exponate in Marbach liegen. "Er hat keinen Vorlaß", heißt es. Womit gesagt werden soll, daß das Archiv von Lenz nichts besitzt.
Auch die Götter Griechenlands liebten bekanntlich das Geheimnis, Verwandlung wie Verwirrung und einen bukolischen Humor. Das Literaturmuseum der Moderne bietet sein vielfältiges Echo hoher, tiefgründiger Hallen mit der oberirdisch lichtdurchfluteten Architektur, welche die Antike beschwört, ohne sie nachzuahmen, jedem an, der es aufsucht, und die Spenden vieler Bürger, die diese in der Welt bisher einmalige Einrichtung ermöglichten, geben der homerischen Heiterkeit eine neue Chance.
Das Literaturmuseum der Moderne in Marbach ist Dienstag bis Sonntag von 10 bis 18 Uhr, Mittwoch von 10 bis 20 Uhr geöffnet, Montag (außer an Feiertagen) sowie am 24., 25., 26. und 31. Dezember geschlossen, Eintritt: 5 / 3 Euro.
Neuer Bau: In der tempelartigen Repräsentationsanlage befindet sich das Literaturmuseum der Moderne. |
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