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Eine neue Art staatlicher Diktatur

 
     
 
Voraussichtlich im September 2000 wird der mächtigste Mann des Königsberger Gebiets, der Gebiets-Gouverneur, neu gewählt. Der jetzige Gouverneur, Leonid Gorbenko, unternimmt derzeit alles, um vom Volk wiedergewählt zu werden. Um die mächtige Opposition auf der Ebene der Städte und Gemeinden möglichst auszuschalten, hat Gorbenko nunmehr eine radikale Verwaltungsreform ins Auge gefaßt.

Einen ersten Vorstoß in diese Richtung unternahm der Königsberger Gebiet
sgouverneur bereits im vergangenen Jahr, als er als Mitglied der Zweiten russischen Parlamentskammer vorschlug, zukünftig die Bürgermeister kleinerer Städte nicht mehr vom Volk, sondern durch die Gouverneure bestimmen zu lassen. Damit hätte Gorbenko in Königsberg in den meisten Gemeinden ihm genehme Bürgermeister selbst einsetzen und eine Opposition somit in hohem Maße ausschalten können. Sein Antrag scheiterte in der Kammer jedoch kläglich.

Inzwischen hat Gorbenko einen zweiten Versuch unternommen, die Kommunalebene als mögliche politische Widersacherin faktisch zu eliminieren. Der Trick ist einfach: Man schaffe neue, große Kreise, statte sie großzügig mit Kompetenzen und Zuständigkeiten aus, nehme diese Zuständigkeiten den Städten und Gemeinden weg – und bestimme die Vorsitzenden dieser Kreise selbst, anstatt sie vom Volk wählen zu lassen. Fertig ist die Verwaltungsreform.

Mit Wirkung vom 1. September 1999 ist nun mit der Neuordnung des Königsberger Gebiets begonnen worden. Künftig werden Heinrichswalde und Tilsit/Ragnit einen gemeinsamen Kreis (Rayon) bilden. Danach traf es die Rayons Pillau/Zimmerbude, Palmnicken/Rauschen/Neukuhren und die vorerst letzte Station ist Königsberg selbst. Die neuen Kreise erhalten eine neue Kreisverwaltung, an deren Spitze grundsätzlich der Rayonvorsitzende steht. Dieser wird ausschließlich vom Gouverneur selbst ausgesucht und ernannt.

Die so zusammengefaßten Städte und Gemeinden stellen sowohl Personal als auch die Räumlichkeiten, damit keine zusätzlichen Kosten entstehen. Die Zuständigkeit dieser neuen Verwaltungsorgane wird umfassend sein: sie liegt in den Bereichen Gesundheit, Bildung, Renten, Kindergeld, Subventionen, etwa des öffentlichen Nahverkehrs, staatliche Investitionsprogramme, Standesamt, Lizenzvergabe – etwa Geschäftslizenzen oder solche für Alkoholverkauf – mit allen daraus resultierenden Einnahmen. Die neuen Verwaltungseinheiten werden die Aufsicht über den gesamten Handel haben sowie über das Bauamt, die Polizei, natürliche Ressourcen, Wohnungsverwaltung und vieles mehr. Den Städten und ihren vom Volk gewählten Bürgermeistern bleibt damit praktisch kaum mehr eine relevante kommunale Einnahmequelle und nur noch wenige Aufgaben.

Erster Widerstand gegen diese Reform beginnt sich zu regen. So hat jetzt der Ragniter Staatsanwalt gegen die Entscheidungen Gorbenkos protestiert und mit einer entsprechenden Klage gedroht. Es kann auch kaum überraschen, daß die Bürgermeister von Pillau und Zimmerbude mit den Plänen nicht einverstanden sind. Königsbergs Bürgermeister Jurij Sowenko gibt sich kämpferisch: "Die Königsberger Stadtkasse ist bei mir. Und wenn Gorbenko mir einen neuen Chef vor die Nase setzen will, dann muß der erst mal sehen, wie er an die Kasse kommt." Protest auch von der Vereinigung der Städte im Königsberger Gebiet, deren Vorsitzender, Pillaus Bürgermeister Alexander Kusnezow, sich in aller Deutlichkeit gegen diese "neue Art staatlicher Diktatur" aussprach.

Auch die Abgeordneten der Königsberger Gebietsduma sprachen sich einhellig gegen die neue Verwaltungsstruktur aus. Nach Auffassung der Gebietsduma verstoße die Anordnung Gorbenkos sowohl gegen geltende russische Gesetze als auch gegen Gebietsgesetze. Nikolai Tulajew, Abgeordneter der Königsberger Gebietsduma, sprach wohl für die überwiegende Mehrheit, als er meinte: "Gorbenko versucht, seine Macht in den Städten zu verstärken, weil er weiß, daß nicht alle Bürgermeister ihn unterstützen. So wird er jetzt versuchen, im ganzen Gebiet ein Netzwerk mit seinen Leuten aufzubauen, die ihm seine Wiederwahl im nächsten Jahr sichern sollen."

Unklar ist auch, ob die neuen Einnahmequellen ausreichen werden, um den neugeschaffenen Beamtenapparat zu finanzieren. Allein 500 neue Beamtenstellen wurden auf Rayon-Ebene neu eingerichtet. 100 000 Mark soll das Ganze umgerechnet mehr kosten als die vorhandenen Strukturen in den Städten. Beobachter gehen jedoch davon aus, daß die Kosten um ein vielfaches höher sein werden. Außerdem besteht natürlich die Möglichkeit, daß Gorbenko vor den Gerichten mit seinen Plänen unterliegen könnte; damit wären alle Neuausgaben umsonst gewesen, die neu geschaffenen Verwaltungen müßten dann wieder aufgelöst werden. BI

 
     
     
 
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