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Am 11. März berichtet die Nachrichtenagentur dpa in einer kurzen Meldung, daß die USA "offenbar" bei den Verhandlungen über Zwangsarbeiter-Entschädigungen "keine Forderungen nach deutschen Reparationszahlungen" mehr stellen wollten. Als Quelle für diese Nachricht wurde der deutsche Verhandlungsführer Graf Lambsdorff genannt. Ein offizielles Dementi von amerikanischer Seite gibt es bis heute bezeichnenderweise nicht. Im Gegenteil. Einige Tage vor der zitierten dpa-Meldung war ebenfalls durch Graf Lambsdorff bekannt geworden, daß die Amerikaner angeblich "völlig überraschend" die Auffassung vertreten hätten, daß die Reparationsfrage nicht abschließend geklärt sein soll.
"Völlig überraschend" kam diese Wende in dem nicht enden wollenden Gezerre um die Entschädigung der NS-Zwangsarbeiter keineswegs. Der Vizefinanzminister und Verhandlungsführer der US-Regierung, Stuart Eizenstat, entfaltete seine Sicht bereits am 16. Februar 2000 dem Innenausschuß des Deutschen Bundestages. Nachgelesen werden können seine Äußerungen auf den Interne t-Seiten des US-Finanzministeriums. Nur nebenbei sei bemerkt, daß die Sicht Eizenstats damit auch die Sicht der US-Regierung wiedergeben dürfte. Eizenstat bemerkte damals im Hinblick auf die Reparationsfrage folgendes: "Wir sind uns bewußt, daß bestimmte Kreise innerhalb der deutschen Regierung die Ansicht zurückweisen, daß nicht rassisch bedingte Vermögensschäden in die Entschädigungsregelungen miteinzubeziehen seien. Dies ist, offen gesagt, ein Fehler (!). Wir hoffen, daß diese Entscheidung nochmals durch das Kabinett der Regierung Schröder geprüft und aufgehoben wird." Die Konsequenzen dieser unmißverständlichen Drohung sind aus deutscher Sicht deshalb beunruhigend, weil eine derartige Sichtweise auch durch Deutschland verursachte Kriegsschäden miteinschließen würde. Lambsdorff hat deshalb sofort darauf verwiesen, daß die Reparationsfrage in dem Londoner Schuldenabkommen und dem Zwei-plus-Vier-Vertrag abschließend geklärt worden sei. Der inzwischen emeritierte Völkerrechtler Karl Doehring hat diese Position in einem Beitrag für die FAZ (15. März d. J.) umfassend untermauert. Doehring kommt zu dem Schluß: "Die völkerrechtlichen Anspruchsinhaber (meint: die Siegermächte des Zweiten Weltkrieges) hätten spätestens vor 10 Jahren im Rahmen der Verhandlungen und im Rahmen des Abschlusses des Zwei-plus-Vier-Vertrages verlautbaren müssen, daß auch dieser Vertrag Reparationsforderungen, die noch zu erheben wären, nicht entgegensteht. Das aber ist nicht geschehen, sondern im Gegenteil wurde vereinbart, daß eine ,abschließende Regelung mit Deutschland nun getroffen sei." Folge man dieser Ansicht, so Doehring weiter, "dann bestehen Reparationsansprüche nicht mehr".
Skeptischer äußerte sich in diesem Zusammenhang der Würzburger Völkerrechtler Dieter Blumenwitz in einem Interview für die "Welt" (23. März). Blumenwitz sieht die Reparationsfrage weder durch das Londoner Schuldenabkommen (1953), noch durch den Zwei-plus-vier-Vertrag getilgt. Da letzterer kein Friedensvertrag sei, sei die Frage der Reparationen keineswegs hinreichend geklärt. Dazu kommt, daß es die Regierung Kohl ganz offensichtlich unterlassen hat, im Zwei-plus-vier-Vertrag einen "unzweideutigen Verzicht" auf weitere Reparationsleistungen durchzusetzen. Sie setzte damit die "Tradition" früherer Bundesregierungen fort, "die Reparationsproblematik zu tabuisieren". Zu dieser unklaren Rechtslage kommt eine Veränderung des Charakters zwischenstaatlicher Beziehungen. Blumenwitz wörtlich: "Eine Welle neuer Reparationsforderungen könnte durch den aktuellen Trend zur ,Privatisierung an sich zwischenstaatlicher Rechtsbeziehungen resultieren." Die Folge: Die Entschädigungsproblematik könnte vor diesem Hintergrund vollends aus dem Ruder laufen.
Sowohl Blumenwitz als auch Doehring sprechen die deutschen Ostgebiete an, deren "positive Aufrechnung (meint weitere Reparationsforderungen) zugunsten der Siegermächte" keinen Spielraum mehr zulasse. Dabei gilt es freilich nochmals zu betonen, daß die "Verrechnung" der fremdverwalteten Gebiete durch Siegermächte keinen Spielraum keineswegs in einem völkerrechtlich korrekten Rahmen bewegt, da Gebietsabtretungen nur mit Zustimung der zuvor dort ansässigen Bewohner möglich sind und von entsprechenden materiellen Vergütungen für alle Betroffenen begleitet sein müßten.
Doehring weist zudem den Siegermächten die Beweislast dafür zu, wenn diese trotz der vermeintlich verrechneten Entschädigungsleistungen Deutschlands neue Ansprüche geltend machen sollten. Die USA dürften derartige Erwägungen unbeeindruckt lassen. Sybillinisch stellte Eizenstat in seinen oben angesprochenen Bemerkungen fest: Die deutsche Regierung glaube (!), daß nicht rassisch bedingte Vermögensschäden unter die Kategorie Reparationen fallen würden und daß diese Akte geschlossen sei. Eizenstat legt mit dieser Äußerung nahe, daß letztlich nur die deutsche Regierung der Überzeugung ist, daß die Reparationsfrage geklärt sei. S. G.
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