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Es ist schon ein wenig kurios, daß genau 50 Jahre nach dem legendären Ungarnaufstand die Ungarn wieder auf die Straße gehen. Doch während 2006 der Feind im Innern steht, war es 1956 eine Bedrohung von außen, die nach innen ausstrahlte.
Der Ungar György Dalos, der als 13jähriger die traumatisierenden Tage in Budapest miterlebte, hat mit "1956 - Der Aufstand in Ungarn" ein Werk vorgel egt, das auch die verschiedenen Forschungsstände und Versionen beachtet und analysiert.
Nach einem symbolhaft gemeinten, aber etwas mißglückten Einstieg, in dem der Autor das Wetter und Kulturprogramm in der Donaustadt am 23. Oktober 1956 darstellt, steigt er in das politische Geschehen ein.
Er erklärt, warum die ungarischen Arbeiter und Studenten Verständnis für die politischen Entwicklungen in Polen zeigten und warum sie gerade zu diesem Zeitpunkt anfingen, Forderungen nach Abzug der sowjetischen Armee aus ihrem Land, Zulassungen anderer Parteien, Pressefreiheit und einem neuen Staatsoberhaupt zu stellen. Dalos schildert eindringlich, wie zum Reißen gespannt die Stimmung in Ungarn war, wo keiner mehr keinem traute, die von Moskau aus gelenkte kommunistische Partei überall ihre Spitzel hatte. "Hausagitatoren besuchten die Bürger außerhalb der Arbeitszeit", es gab also kein entkommen.
Der Aufstand begann als einfache Demonstration, die eskalierte, auch weil die kremlhörige ungarische Führung sich selbst immer wieder widersprach. Hilflos versuchte sie einmal, der Bevölkerung zu drohen, während sie ein anderes Mal auf Zusammenarbeit setzte. Dieses völlig unstrukturierte Hin und Her macht der Autor anhand zahlreicher öffentlicher Verlautbarungen deutlich.
Sich auf die Revolution von 1848 berufend, ließen sich allerdings nur noch wenige Ungarn von derlei beeinflussen, und selbst die Ernennung ihres politischen Idols Imre Nagny zum Regierungschef konnte sie nicht lange beruhigen, da auch dieser überfordert war.
Der treue Kommunist wollte zwar Reformen und mehr Unabhängigkeit von der Sowjetunion, doch als Revolutionsführer hatte sich der Intellektuelle nie gesehen. So versagte der Hoffnungsträger der aufgewühlten Nation, was den Kreml zu Plan B übergehen ließ: Sowjetische Panzer rückten in Budapest ein.
György Dalos gelingt es hervorragend, die verschiedenen Gruppen der Beteiligten mit ihren Motiven, ihrem Handeln und ihren Bedenken vorzustellen. Auch verdeutlicht er die Pannen, mit denen die einzelnen Vertreter der Beteiligten leben mußten. Von ungarischen Soldaten, die sich mit den Demonstranten verbrüdern, da diese ihnen erklärt hatten, daß sie nicht wie behauptet Faschisten, sondern frustrierte Sozialisten wie sie seien, bis zu nicht geplanten Schüssen, die 60 Todesopfer und zahlreiche Verletzte mit sich brachten; der Leser wird umfassend informiert.
Auch warum sich das Ausland trotz Hilferufen aus Ungarn ruhig verhielt und warum die Sowjetunion die Ungarn nicht so disziplinieren durfte, wie sie wollte - schließlich hatte man ja einen Ruf in der sozialistischen Welt zu verlieren -, wird erläutert.
Am Ende nimmt sich der Autor der Opfer und Traumatisierten sowie dem in seinem Selbstverständnis schwer getroffenen ungarischen Volk an. (Fritz Hegelmann)
György Dalos: "1956 - Der Aufstand in Ungarn", C. H. Beck, München 2006, geb., 246 Seiten, 19,40 Euro 5804 |
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