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Nach 15 Jahren der Haft kehrt der Kleinganove Luciano Mascalzone 1875 in das kleine italienische Dorf Montepuccio zurück, um die stets von ihm begehrte Filomena zu suchen. Wie in seinen Träumen wird ihm die Tür ihres Hauses geöffnet und voller Leidenschaft fällt er über die Frau an der Tür her, die sich ihm willig hingibt. Beseelt verläßt er nach einer Liebesnacht das Haus und begegnet den Dorfbewohnern, die den ihnen verhaßten Kleinganoven mit Steinen bewerfen. Ein Stein trifft ihn am Kopf und Mascalzone stürzt schwer getroffen. Erstaunlicherweise ist er glücklich, weil er endlich seine Filomena besessen hat, doch noch während er stirbt, erfährt er, daß es sich bei der Frau nicht um Filomena, sondern um ihre Schwester gehandelt hat.
Dieser ziemlich dramatische Romananfang von "Die Sonne der Scorta" des französischen Bestsellerautors Laurent Gaudé wird in dem folgenden Kapitel noch gesteigert, denn Filomenas Schwester bekommt aus dieser einen Liebesnacht ein Kind, bei dessen Geburt sie stirbt. Obwohl die Dorfbewohner den kleinen Rocco vom Dorfpfarrer ermorden lassen wollen, gibt der Pfarrer den Säugling bei der Fischerfamilie Scorta im Nachbardorf in Pflege.
Doch dies sollte sich als Fehler erweisen, denn Rocco wird zu einem Kriminellen, der mordet, plündert und zum Paten der Region aufsteigt. Kurz vor seinem Tod vermacht er jedoch der Kirche sein gesamtes Vermögen und übergibt seine drei halbwüchsigen Kinder in die Armut.
Nach dem Tod Roccos schlägt der 1972 geborene Autor ein ruhiges Tempo an und wird auch in seiner Erzählweise wieder bodenständiger. Domenico, Giuseppe und die kleine Carmela erhalten von dem Pfarrer Geld aus ihrem Erbe, um in den USA einen neuen Anfang zu wagen, doch auf Ellis Island wird die zwölfjährige Carmela wegen einer Augenentzündung abgewiesen, und die Kinder fahren wieder zurück in ihr Heimatdorf. Dort müssen sie gegen die in ihrem Dorf vorherrschenden Vorurteile aufgrund ihrer Abstammung ankämpfen und sich durch ihrer Hände Arbeit einen bescheidenen Wohlstand aufbauen.
Der Roman endet 1980 mit der Enkelin Carmelas. Bis dahin schildert der Autor farbenprächtig die verschiedenen Schicksalsschläge, die den Scortas widerfahren. Besonders eindrucksvoll ist der Familienzusammenhalt und das zwiespältige Gefühl, ein Scorta zu sein, was eine Mischung aus Scham und Stolz darstellt. Die steinige Erde Apuliens, die heiße Sonne, das eigenwillige Meer, der Geruch nach Fisch, die lebensbeherrschenden Olivenbäume, die dominante Kirche, die eigenwilligen Charaktere der Süditaliener, der Dorfplatz als Treffpunkt; Laurent Gaudé entführt seinen Leser durch seine dichte Beschreibung der eigenwilligen Region in ein anderes Land.
"Die Sonne der Scorta" ist in Frankreich mit dem wichtigsten Literaturpreis ausgezeichnet worden.
Unbezweifelbar ist der Roman etwas Besonderes, zieht den Leser so sehr in seinen Bann, daß er noch Tage nach dem Beenden der Lektüre nachwirkt, indem immer wieder Bilder vor dem inneren Auge auftauchen und damit verbundene Emotionen wachrufen. Hexerei! Fritz Hegelmann
Laurent Gaudé: "Die Sonne der Scorta", dtv premium, München 2005, kartoniert, 254 Seiten, 14,50 Euro |
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