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Alle Kommentatoren waren sich einig: So „friedlich“ ist lange keine Castor-Transport nach Gorleben mehr verlaufen wie Anfang dieser Woche. Weniger einig ist man sich, was generell als „friedlich“ zu verstehen ist.
Ist es zum Beispiel „friedlich“, unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit offen anzukündigen, man werde sich nicht an Auflagen, Verbote und geltende Gesetze halten? Ist es „friedlich“, wenn solche Ankündigungen nur deshalb nicht in die Tat umgesetzt werden, weil massiv eingesetzte und gut vorbereitete Polizeikräfte dies verhindern? Ist es „friedlich“, eine ganze Region tagelang in den Ausnahmezustand zu versetzen, in den Lebens- und Berufs alltag Tau- sender Bürger einzugreifen, die seit vielen Jahren problemlos mit dem angeblich so gefährlichen Atommaterial in ihrer Nachbarschaft leben? Ist es „friedlich“, viele tausend Polizei- und Grenzschutzbeamte, für die es anderenorts weit wichtigere Arbeit gäbe, allein schon durch die Androhung „unfriedlicher“ Aktionen hier zu binden? Und ist es schließlich „friedlich“, für all diese Aktionen die Kosten in Millionenhöhe dem arbeitenden - und in aller Regel nicht „demonstrierenden“ - Teil der Bevölkerung aufzubürden?
Man sollte endlich die falschen Vokabeln beiseite legen und die Dinge beim richtigen Namen nennen. Was da in den letzten Tagen im niedersächsischen Wendland ablief, war weder „Demonstration“ noch „friedlich“. Es war der mit zahlreichen Rechtsbrüchen unternommene Versuch, Andersdenkenden die eigene Meinung zur Kernenergie aufzunötigen - eigentlich also das genaue Gegenteil von Meinungsfreiheit.
Daß die Kernkraftgegner die Dinge so sehen, wie sie das lautstark vortragen, ist ihr gutes Recht. Daß sie in aller Regel nicht bereit sind, ihnen nicht passende Sachargumente und Grundprinzipien der Physik anzuerkennen, ist ebenfalls ihr gutes Recht. Niemand in diesem Lande aber hat das Recht, seine Meinung zur absoluten Wahrheit zu erheben und anderen aufzuzwingen. Wer sich daran nicht hält, beweist damit nur, daß er nicht kapiert hat, was Demokratie wirklich heißt: Herrschaft des Volkes, nicht Diktatur der Straße!
Hier liegt auch das Dilemma der Grünen: Ihre Basis will dem arrogant-elitären Alleinvertretungsanspruch einer strammen Anti-Kapitalismus-, Anti-Kernkraft- und letztlich Anti-Alles-Ideologie treu bleiben, ihre Funktionäre aber haben schnell die Brecht’sche Erkenntnis aus der Dreigroschenoper verinnerlicht: „Nur wer im Wohlstand lebt, lebt angenehm“. Im Wohlstand leben, das heißt für moderne Politiker: auf der bequemen Regierungsbank sitzen. Hier darf man bei Fischer, Trittin und Co. zumindest eines der Motive vermuten, auch die größten Kröten zu schlucken.
Von einem jedenfalls muß man wohl ausgehen: Sollte der rot-grüne Traum nun wirklich platzen, wird der nächste Castor wohl noch weniger „friedlich“ in Gorleben „begrüßt“ werden als diesmal.
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