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Zahlreiche Ministerpräsidenten dürften derzeit nicht gut auf den niedersächsischen SPD-Landtagsfraktionschef Wolfgang Jüttner zu sprechen sein, hatte er doch zwischen den Jahren indirekt verkündet, daß er sie gerne abschaffen würde. Vor allem die neuen Bundesländer Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen würde er gern zu einem Bundesland mit dem Namen – man höre und staune – „Mitteldeutschland“ zusammenschließen. Für Jüttner war die Entscheidung, nach der Wiedervereinigung die alten DDR-Länder wieder mit neuem Leben zu erfüllen, ein Fehler. „Länder mit zwei bis drei Millionen Einwohnern sind nicht überlebensfähig“, so der Politiker.
Trotz Weihnachtsferien folgte der Aufschrei aus den betroffenen Bundesländern sofort. Thüringens Ministerpräsident Dieter Althaus (CDU) betonte, daß die Bundesländer ein wichtiger Teil der Identität ihrer Bewohner seien. Sachsens Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU) sieht in einer Länderfusion keinen Sinn, denn „durch die Zusammenlegung von drei armen Ländern entsteht kein reiches“.
Wolfgang Böhmer (CDU), Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, verwies auf das Beispiel Berlin und Brandenburg, wo sich die Brandenburger schon 1995 in dem in solch einem Fall im Grundgesetz vorgeschriebenen Volksentscheid massiv gegen eine Zusammenlegung mit dem überschuldeten Berlin ausgesprochen hatten. „Für eine Länderfusion wird es nur eine Mehrheit geben, wenn sie füreinander keine ungewöhnliche Belastung bedeutet“, stellte Böhmer fest und verdeutlichte, daß sein Bundesland, das im Vergleich zu Sachsen schlechter gestellt ist, es nicht nötig habe, sich anzubieten, um dann von den anderen abgelehnt zu werden.
Die Tatsache, daß sich Sachsen-Anhalt nicht wie eine verschmähte Braut fühlen möchte, dürfte allerdings nicht der einzige Grund sein, der die Landesregierung und auch andere Bundesländer von einer Fusion abhält, schließlich würden mit einem Schlag diverse Ministerpräsidenten überflüssig. Das selbe gilt für Dutzende von Ministern und Hunderte von Landtagsabgeordneten. „Viele Länder werden gute Gründe für eine Neuordnung nicht bestreiten, wollen aber hiervon nicht betroffen sein“, stellte der stellvertretende Vorsitzende der Unions-Bundestagsfraktion, Wolfgang Bosbach, sachlich fest.
Die einzige Länderfusion, die wirklich voranschreitet – das Geplänkel zwischen Berlin und Brandenburg tritt ziemlich auf der Stelle –, ist die von Schleswig-Holstein mit der Hansestadt Hamburg. Beide Länderchefs verstärken die politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit. Trotzdem warnte der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, Peter Harry Carstensen, vor voreiligen Entscheidungen. Würde man die Bevölkerung jetzt über eine Fusion befragen, so würde sie ablehnen, meinte der CDU-Politiker. Erst in zehn oder 15 Jahren, wenn die beiden Länder aufgrund der jetzigen Maßnahmen enger aneinander gewachsen seien, könnte man die Möglichkeit eines Zusammenschlusses zu einem Nordstaat in Betracht ziehen. Hierbei sprach der Norddeutsche ausdrücklich nur von Hamburg und Schleswig-Holstein und nicht, wie Jüttner gefordert hatte, von einer Fusion von Schleswig-Holstein, Hamburg, Bremen, Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern.
Aber auch die kleinere, vom Niedersachsen Jüttner vorgeschlagene Lösung – nämlich eine Fu-sion von Niedersachsen mit Bremen – stößt zumindest in Bremen auf wenig Gegenliebe, zumal Jüttner mit seiner Aussage „Bremen hat so viele finanzielle Probleme, daß da keiner richtig heran will“, den Stolz der Hansestädter verletzt hat.
Bremen sei bereits ein starkes Land und würde dies nicht erst aufgrund eines Zusammenschlusses mit Niedersachsen, wies der Bremer Regierungschef Jens Böhrnsen (SPD) Jüttner die Tür. Außerdem hätten die „Väter und Mütter des Grundgesetzes sich bewußt für kulturelle und politische Vielfalt und für historisch gewachsene, dezentrale Strukturen entschieden“.
Auch Bremens stellvertretender Regierungschef Thomas Röwekamp (CDU) reagierte gereizt auf Jüttners Vorschlag. Er gab der Finanzverteilung in Deutschland die Schuld, daß es Bremen finanziell nicht gut gehe.
Letztendlich hat die ganze Aufregung um Jüttners Fusionsvorschläge gezeigt, woran die auf mehr Effizienz abzielenden Zusammenlegungspläne scheitern. Doch trotz aller Egoismen verschiedener Länderchefs ist zumindest das Argument der Identität der Bewohner auf den ersten Blick nicht von der Hand zu weisen. Auf den zweiten Blick kommen jedoch Zweifel auf. Schon Theodor Heuss hatte die Länderbildung der Alliierten nach dem Zweiten Weltkrieg als „weniger orginär als originell“ bezeichnet. So wurde zum Beispiel in der britischen Besatzungszone aus Teilen des aufgelösten Preußen plus Lippe-Detmold das neue Bundesland Nordrhein-Westfalen und aus den Ländern Hannover, Oldenburg, Braunschweig und Schaumburg-Lippe Niedersachsen gebastelt. Zusammengeschnippelt wurden auf ähnliche Weise auch Hessen und Rheinland-Pfalz.
Länder mit zwei Millionen Einwohnern nicht überlebensfähig |
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