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Lauter alte Bekannte kehren zurück: Die alte Rechtschreibung ist wieder da (haben Sie nicht mitgekriegt, weil s die "neue" in dernie gab), die Telekom stellt endlich wieder mehr Münzfernsprecher auf und Oskar Lafontaine geht um.
Die aufgeflammte Rechtschreibdebatte ist so ein richtiger Sommerspaß. Alles scheint kopfzustehen in dieser Hitze. Die Argumente der Neuschreiber ähneln nämlich aufs Haar denen der Neuschreibgegner in den 90ern: Zu teuer wäre die Reform der Reform und Chaos würde herauskommen. Genau zwischen die Augen treffen wollen sie uns Altschreiber indes mit dem Argument, der Kampf um die Rückkehr zur alten Orthographie würde "auf dem Rücken der Schüler" ausgetragen. Na ja, der ist ziemlich breit geworden nach über 30 Jahren Bildungsreform. Blicken wir zurück: In den 70ern galt der Reformeifer noch der Mathematik, nicht der Rechtschreibung. Die Krone des Bemühens hieß damals "Mengenlehre".
Viele Leser wird jetzt ein kalter Schauer der Erinnerung erfassen. Nur die Glücklichen unter Ihnen wissen gar nicht, wovon die Rede ist. Daher eine kurze Beschreibung, die auch den pädagogischen Wert der längst vergessenen Lehre aufzeigt: Mengenlehre war der Abschied von der zahlentriefenden, kalten, irgendwie kapitalistischen Mathematik. Mengenlehre war menschlich und kindgerecht. Daß die Eltern nicht die Bohne von dem verstanden, was ihre Kinder da in ihre Mathe-Heftchen malten, lag überdies ganz im Sinne der Zeit ("trau keinem über 30"). Es gab in der Mengenlehre sogar multikulturelle "Schnittmengen". Wie Mengenlehre funktioniert, zeigt eine bekannte Beispielrechnung, und die geht so: "Wenn aus einem Raum, in dem sich zwei Personen befinden, drei Personen herauskommen, dann muß eine wieder reingehen, damit keine mehr drin ist".
Na? Wo Schüler so etwas überstehen, da können sie auch zwei, drei weitere Rechtschreibreform-Reformen wacker durchschreiten. Unsere Eltern brachte das damals um den Verstand, uns Kleinen hingegen brachte es die Gewißheit, in eine Zeit hineinzuwachsen, in der auch die elementaren Dinge völlig neu bewertet werden müssen.
Nach Jahrzehnten der Reformen sehen unsere Schulen so aus, wie sie aussehen und entlassen Schüler, deren Zukunft endlich einen griffigen Namen bekommen hat: "Hartz". Die Reformen haben jedoch noch etwas anderes geschaffen: Kommissionen, die mit ihrer vielen Zeit irgendetwas anfangen müssen, weil sie sonst aufgelöst werden. In ihrer Not machten die sich in der 90ern an die Rechtschreibung. Sie konnten nicht ahnen, daß Wörter wie "Reform" und "Kommission" wenig später im Volk mit Pest und Pocken gleichgesetzt würden.
Ja, die Leute setzen halt wieder aufs Bewährte. Oskar Lafontaine bemerkte den Trend schon vor längerem, streckte aber vorsichtshalber alle paar Monate nur einen kleinen Finger aus seiner politischen Gruft, um den Wind zu prüfen. Der weht mittlerweile so heftig, daß er nun die Grabplatte schwungvoll beiseite schob. Jetzt will er endlich heraussteigen und finster Rache nehmen an jenen, die ihn vor Zeiten kalt hatten versinken lassen. Mit großem Geschrei war Lafontaine 1999 von den Zinnen der Macht in den Burggraben gehüpft in der Hoffnung, daß die ganze SPD ihm hinterherspringen würde. Tat sie aber nicht. Elend soff er ab.
Lafontaine kennt nicht nur seine Feinde, er weiß auch die alten Rezepte noch, die aus Deutschland seit den 70er Jahren das gemacht haben, auf was wir heute stolz blicken. Die Steuern sollen rauf, meint der Saarländer, um staatliche Konjunkturprogramme zu finanzieren. Die hätten schon unter Brandt und Schmidt sagenhafte Dinge bewirkt. Brandt war der Kanzler, der gleich nach Amtsantritt mit dem "Kaputtsparen" seiner Vorgänger Schluß machte und mit vollen Händen Geld für gesellschaftliche Visionen ausgab. Brandt war auch der eigentliche Erfinder "Sparschweinschlachtung", auf die sich Hartz jetzt soviel einbildet. Als Visionär, der er war, überließ er die Finanzierung seiner Reformen ebenfalls den Kindern. Nur machte er das noch "sozialverträglich", soll heißen: So, daß die Kleinen das gar nicht merken: Schulden machen, die die Kleinen zurückzahlen, wenn sie groß sind und wir längst weg - das war Brandts und seiner Nachfolger Geniestreich. So schön wie damals soll es wieder werden, fordert Lafontaine. Schluß mit dem Sparzwang, Geld sei genug da, es müsse nur "besser und gerechter verteilt werden", meint der Auferstandene. Ins Straßendeutsche übersetzt heißt das: "Meins ist meins, und deins wird gerecht geteilt."
Dank Hartz IV ist Oskar Lafontaine wieder in seine Lieblingsrolle geschlüpft, die des Hoffnungsträgers. Doch Vorsicht, schnell vergeht der Ruhm der Welt: Der Herr Hartz war selber mal "Hoffnungsträger". Alle Parteien jubelten ihm zu und beschlossen einstimmig seine "Jahrhundertreform". Mittlerweile ist es um den Hartz einsam geworden. Als erste schlichen sich die Unionsparteien ins Unterholz davon, aus dem sie jetzt auf den Kanzler und seinen Wirtschafts minister schießen. Der Frontwechsel wurde ganz leise durchgezogen, niemand soll merken, daß auch Merkel und Stoiber Hartz am Stecken haben. Mit wüstem Gekläffe hingegen zog jener Haufen abgehalfteter SPD- und Gewerkschaftsfunktionäre ins feindliche Lager rüber, wo sie derzeit verloren in der roten Erde wühlen und auf ihren Erlöser warten, auf Lafontaine.
Die zurückgebliebene SPD-Führung macht das, was sie seit 1998 perfekt gelernt hat: Ab jetzt wird "nachgebessert", weshalb wir davon ausgehen, daß der 16-Seiten-Fragebogen bald Gesellschaft bekommen dürfte von einigen "Ergänzungsfragebögen". Glücklicherweise haben die Hartz-IV-Erfinder ein Detail in ihr Meisterstück eingebaut, das sich wieder herausnehmen ließe, ohne daß wirklich etwas geschieht. Laut schimpfend reiten Jusos und SPD-Linke gegen den Ausfall der Januarauszahlung des "Arbeitslosengeldes 2" an. Deren Auszahlung bessert die Lage der Betroffenen im Kern zwar nicht einen Deut, dafür zu streiten macht aber einen umwerfend sozialen Eindruck, weshalb Juso-Chef Niels Annen sie jetzt zu einer Frage des Anstands erklärt hat. Respekt, Respekt.
Den einzig vernünftigen Vorschlag hat die FDP gemacht: Hartz IV solle um ein halbes Jahr verschoben werden. Westerwelle weiß: Dann fiele die Protestwelle nämlich nicht in diesen Sommer, sondern in den kommenden Winter. Und wer will sich schon bei Eiseskälte durch die Straßen wälzen? Die Demos würden viel kleiner ausfallen und die Politiker könnten sie als "Randerscheinung" entlarven.
Fehlerteufels Mikrowelle
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