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Gottlos in die Zukunft

 
     
 
Der Jubel war im wörtlichsten Sinne grenzenlos - Europa im Verfassungstaumel. Will man den von Warschau bis Lissabon, von Athen bis Stockholm amtlich verbreiteten Verlautbarungen der am Brüsseler EU-Gipfel Beteiligten Glauben schenken, dann fängt die Geschichte des altehrwürdigen Kontinents jetzt erst so richtig an.

Nun gut: Die Europäische Union, seit zwei Monaten auf 25 Mitgliedsstaaten vergrößert, hat sich nach jahrelangen Bemühungen endlich auf den Entwurf einer Verfassung geeinigt. Aber die von Politikern jeglicher Couleur verbreitete Wertung, das sei der "Durchbruch", wirkte denn doch reichlich übertrieben. Die EU-Verfassung
ist mit so vielen Geburtsfehlern befrachtet, daß man ihr bei nüchterner Betrachtung keine große Zukunft voraussagen kann.

So sie denn überhaupt eine Zukunft hat. Sie muß nämlich in allen 25 Staaten ratifiziert werden. Im bevölkerungsreichsten Land, der Bundesrepublik Deutschland, dürfte das kein Problem sein. Die politische Klasse ist sich einig: Wer gegen diese Verfassung stimmt, sondert sich aus dem Kreis der "Anständigen", der "Guten", der "politisch Korrekten" aus. Breiteste Zustimmung im Bundestag gilt daher als sicher.

Da man sich aber nicht sicher ist, ob das Volk genauso "anständig", "gut" und "korrekt" ist wie seine Politiker, wird es vorsichtshalber gar nicht erst gefragt. So wird man, sollte diese Verfassung jemals in Kraft treten, zumindest nicht sagen können, das Volk habe sie sich "kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt gegeben", wie es so schön in der Präambel unseres deutschen Grundgesetzes heißt - und auch da nur begrenzte Gültigkeit hat.

Andere europäische Regierungen, zum Beispiel die in London, haben offenbar weniger Angst vor dem eigenen Volk. Und angesichts der traditionell skeptischen Haltung der Bewohner der britischen Inseln gegenüber Kontinentaleuropa kann man sich eigentlich kaum vorstellen, daß dort eine Mehrheit für den Brüsseler Entwurf zustande kommt. Gleiches gilt für eine Reihe weiterer Länder, gerade auch unter den neuen Mitgliedern. Dort deutete die Beteiligung an den EP-Wahlen nicht auf überschäumende Europabegeisterung hin. So läßt vieles eher ein Scheitern erwarten.

Aus christlich-konservativer Sicht könnte man sich darüber nur freuen. Denn wenn man diese Europäische Union nicht nur als Wirtschafts- und Währungs-, sondern vor allem als Wertegemeinschaft sieht, kann man einer Verfassung ohne klaren Gottesbezug nicht zustimmen. Der lapidare Bezug auf das "kulturelle, religiöse und humanistische Erbe Europas" ist da nicht einmal ein schwacher, sondern überhaupt kein Trost. Das religiöse Erbe Europas hat einen Namen: das Christentum, begründet auf dem Heiligen Buch der Christen, nämlich der aus Altem und Neuem Testament bestehenden Bibel. Islam, Buddhismus oder andere Weltreligionen verdienen unsere Achtung, aber zum Erbe Europas gehören sie nicht (wie sich Christen ja auch nicht anmaßen, das religiöse Erbe etwa der fernöstlichen Hochkulturen geprägt zu haben).

Haben die EU-Verfassungsväter vielleicht Gott bei ihren Beratungen "vergessen"? Nein, sie sind oft genug und mit überzeugenden Argumenten daran erinnert worden, wie gefährlich es wäre, dieses Europa in eine "gottlose" Verfassungszukunft zu schicken. Sie haben sich bewußt und gewollt aus der "Verantwortung vor Gott" gestohlen. Daher sollte diese Verfassung scheitern - so wahr uns Gott helfe.

 

"Einige unserer führenden Politiker haben sich geweigert, bei ihrer Vereidigung die Formel ,so wahr mir Gott helfe zu verwenden. Mit grimmigem Humor könnte man konstatieren, daß sie Gott damit von der Mitverantwortung für manchen politischen Mißgriff entbunden haben. Tatsächlich aber stärkt es nicht eben das Vertrauen in eine politische Führung, wenn diese sich allenfalls noch menschlichen Instanzen gegenüber verantwortlich weiß."

Joachim Kardinal Meisner

Europa über alles? Neben ihrer Flagge will die EU sich ein weiteres Symbol geben - eine Einheits-Verfassung, in der sich aber längst nicht alle Bürger Europas repräsentiert fühlen. Foto: pa/dpa

 
     
     
 
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