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An diesem Wochenende geht in Bingen ein internationaler wissenschaftlicher Kongreß zu Ende, der sich dem Leben und Wirken einer Frau gewidmet hat, die auch mehr als 800 Jahre nach ihrem Tod noch geschätzt und verehrt wird: Hildegard von Bingen. Sie wurde vor 900 Jahren als zehntes Kind des Edelfreien Hildebert und seiner Frau Mechthild unweit von Wiesbaden geboren. Ein besonderes Kind, denn schon als Dreijährige soll sie "Gesichte" gehabt haben. Die Eltern geben sie denn auch in die Obhut der Klausnerin Jutta von Spanheim, die sich mit ihr und zwei weiteren Kindern dem Mönchskloster vom Disibodenberg anschließt. Hildegard wird in "Demut und Herzensreinheit" erzogen und legt schließlich nach den Regeln des heiligen Benedikt die Gelübde ab. 1136 wird sie in Nachfolge von Jutta Meisterin der Frauenklause.
Inzwischen sind es zehn Schwestern, die gemeinsam nach den Regeln des heiligen Benedikt leben, und es werden immer mehr. Hildegard baut 1150 ein eigenes Kloster; Rupertsberg beherbergt schnell 50 Nonnen, so daß auch dieses bald zu klein wird. 1165 kauft Hildegard das alte Kloster Eibingen bei Rüdesheim. Sie hat sich zu einer vielbeschäftigten Frau entwickelt, leitet beide Klöster, treibt als Grundbesitzerin Abgaben ein und steht weltlichen Gerichten vor, denn schließlich ist sie als Äbtissin auch Lehnsherrin.
Die "Managerin des Mittelalters" findet dennoch die Zeit und Muße, ihre Erfahrungen und Erkenntnisse schriftlich festzuhalten. So schrieb sie ihr erstes theologisch-visionäres Werk "Scivias" (Wisse die Wege) nieder, in dem sie in 26 Visionen die Schöpfung der Welt und des Menschen, die Entstehung der Kirche und die Erlösung beschreibt. Das "Buch der Lebensverdienste" (Liber vitae meritorum) und das "Buch der göttlichen Werke" (Liber divinorum operum) folgen. Fazit: Der Mensch als Abbild Gottes ist nicht nur sich selbst gegenüber verantwortlich, sondern der ganzen Schöpfung; immer wieder gelte es, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden.
Hildegard, die auch komponiert hat, ist aber vor allem noch heute durch ihre natur- und heilkundlichen Schriften bekannt: "Heilkraft der Natur" (Physica), in der sie über 450 Pflanzen und Tiere und mehr als 175 Kräuter und Gewür-ze beschreibt, und "Heilwissen" (Causae et curae), in der Therapien der verschiedensten Krankheiten und deren Ursachen nachzulesen sind, die aber auch Hinweise zum gesunden Leben enthält.
Hildegard von Bingen stirbt am 17. September 1179 im Kloster Rupertsberg. Noch im Alter hatte sie weite Predigtreisen unternommen und dabei oft die Mißstände in den Klöstern angeprangert. Mit den Großen ihrer Zeit stand sie in regem Briefwechsel, Päpste achteten ihr Wort, Kaiser Friedrich I. Barbarossa war sie freundschaftlich zugeneigt. Ihr Rat wurde geschätzt und befolgt.
Vor allem die gesundheitlichen Ratschläge sind es, die selbst moderne Ernährungswissenschaftler faszinieren. Ein Buch aus dem Schweizer AT Verlag hat nun die Ideen der Hildegard von Bingen aufgegriffen und ihre Rezepte für Leib und Seele ins Heute übertragen: Eve Landis Hildegard von Bingen (144 Seiten, Leinen, 29,90 DM). Neben mehr als 60 Rezepten zu Lebensmitteln, die Hildegard von Bingen dem gesunden Menschen empfahl, gibt es auch viel Wissenswertes über Leben und Wirken der Äbtissin und Autorin nachzulesen sowie Einblicke in das Leben im Mittelalter. Für die Rezepte wurden nur Lebensmittel verwandt, die man heute auch kaufen kann, sei es für Kürbisrisotto, Hirschragout oder Entenbrustfilets. Auf Schwan, Biber oder Wal wurde allerdings verzichtet, hingegen fand Straußenfleisch, das derzeit immer mehr an Beliebtheit auch in Europa gewinnt, Aufnahme in die bunte Reihe der Rezepte. Doch auch hier gilt, was schon Hildegard von Bingen erkannte: "In allen Dingen soll sich der Mensch das rechte Maß auferlegen."
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