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Ich brauche das Mahnmal nicht

 
     
 
Mein Vorredner hat soeben ausgeführt, das Holocaust-Denkmal müsse gebaut werden un müsse "wie eine offene Wunde" wirken. Ich wünsche meinem Kollegen, daß er mi offenen Wunden nicht aus eigener Erfahrung vertraut ist. Dann kann er aber auch de brennenden und bohrenden Schmerz einer offenen Wunde nicht kennen. Und er muß auch nicht von der Gefahr einer offenen Wunde wissen, die den ganzen Körper infizieren kann.

Ich warne uns alle vor der Gefahr einer solchen offenen Wunde. Ich möchte von dem Ba des Holocaust-Denkmals in dieser Monumentalität mitten in Berlin, mitten in unsere Hauptstadt, abraten. Wir Deutsche sind als Nation zu schwach, unser Selbstbewußtsein is zu wenig ausgeprägt, um ein solches Denkmal schadlos zu ertragen.

Ich war 15 Jahre lang Bürgermeister. In meiner ersten Rede zum Volkstrauertag habe ic das Verbrechen an den Juden in Deutschland und Europa in den Mittelpunkt gestellt. Mein Betrachtungen gipfelten in der an uns Deutsche gerichte
ten Frage: "Kain, wo ist dei Bruder Abel?" Nur mit dem biblischen Brudermord schien mir diese einzigartige Unta vergleichbar zu sein. Ich gehöre zu denen, die dieses schreckliche und im Grund unvorstellbare Geschehen immer wieder erschüttert. Dennoch rate ich ab, dies Erschütterung durch ein monumentales Holocaust-Mahnmal auszudrücken. Es hätte nämlic auch einen Aspekt der Härte und der Unerbittlichkeit.

Wir Christen kennen die Kategorie der Schuld. Nach Reue und tätiger Wiedergutmachun dürfen wir aber auch auf Vergebung hoffen und sie erwarten. Haben wir nicht bereut, habe wir nicht wiedergutgemacht? Wäre das Mahnmal nicht ein monumentaler Ausdruck de Unvermögens, sich selbst zu vergeben?

In diesem Zusammenhang möchte ich zitieren, was ein berühmter Mann eine Nachbarlandes zu öffentlichen, zu staatlichen Untaten gesagt hat: "Es gibt in de Geschichte unseres Landes wenige Dramen, die nicht durch eine Amnestie oder durc bewußtes Vergessen in den 20 Jahren danach ausgelöscht wurden ... Man kann nich ständig mit Erinnerungen und im Groll leben." Es war Staatspräsident Mitterrand der dies über Frankreich gesagt hat. Ich denke, Mitterrand ist über jeden Verdach erhaben. Und er gehört einem Volk an, das als ältere Nation schon mehr Erfahrung mi unerklärlich Schrecklichem in seiner Geschichte gesammelt hat.

In guter Absicht soll ein riesiges Mahnmal entstehen. Mich stört auch an dem jetzige Entwurf seine Monumentalität. In gewisser Weise mag darin ein Stück unsere Nationalcharakters zum Ausdruck kommen: Maßlosigkeit ist unsere "Stärke", da vernünftige Normalmaß zu finden, ist unsere Schwäche. Dieses Denkmal wäre geradezu de "overkill" der Gedächtnisarchitektur. Außerdem haben wir in Berlin bereit eine zentrale, sehr würdige Mahn- und Gedächtnisstätte: Es ist die neue Wache. Dor steht die Plastik von Käthe Kollwitz. Auf dem Sockel lesen wir: "Den Toten von Krie und Gewaltherrschaft."

Sind damit nicht alle gemeint, die in der Schreckenszeit des Krieges ihr Leben lasse mußten? Die Mutter mit ihren Kindern, die im Bombenhagel von Dresden verbrannte, de Jude, der ins Gas geschickt wurde, der 18jährige Soldat, der vor Stalingrad erfror Nehmen wir nicht eine Nachbewertung vor und bewerten eine Opfergruppe ungleich höher als andere?

Aber auch die praktische Seite darf nicht vergessen werden. Ein so großes flächenhaftes Monument ist gegen Spinner und Provokateure nicht zu sichern. Uns allen is noch gut in Erinnerung, daß auch der kommunistische tschechische Geheimdienst und die Stasi sich mit Hakenkreuzschmierereien in West-Deutschland hervorgetan haben. Da beabsichtigte und erreichte Medienecho war jeweils verheerend: Deutschland, angepranger als Land der Nazis und Ewiggestrigen. Wollen wir ähnliches erneut heraufbeschwören?

Den Bau des Holocaust-Monuments in Berlin wird man uns im Ausland nicht sehr danken Aber jede Hakenkreuzschmiererei würde die Frontseiten der ausländischen Zeitunge beherrschen. Dann bliebe am Ende nur, das Denkmal außen herum mit Stacheldraht und mi bewaffneten Streifen zu sichern: Die Anmutung eines KZs wäre vollständig. Tun wir un das nicht an! Es würde sich sonst in allzu brutaler Weise zeigen: Gut gemeint ist noc lange nicht gut, sondern kann böse enden.

Außerdem: Wir sind Politiker. Wir haben den Auftrag, die Mehrheit der Bevölkerung zu vertreten. Ich habe die größten Zweifel, ob die Mehrheit der Menschen in Berlin, in Deutschland bei all den genannten Implikationen dem Bau des zentralen, monumentale Holocaust-Denkmals positiv gegenübersteht. Ärger im Ausland, Unverständnis bei de eigenen Bevölkerung, soll das der Lohn der guten Absicht werden? Schließlich: De Vorsitzende des Zentralrates der Juden in Deutschland hat gesagt: "Ich brauch das Mahnmal nicht." Dem schließe ich mich an.
 
     
     
 
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