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Durch die Hauptstadt Sofia führt künftig ein "Boulevard des 1. Januar" - Ausdruck nationaler Freude, daß Bulgarien am 1. Januar 2007 EU-Mitglied wird. Freuen kann sich auch Europa, dessen Schutzpatrone Kyrill und Method sind. Das nach ihnen benannte kyrillische Alphabet, von Bulgaren seit über 1100 Jahren geschrieben, wird EU-offizielle Schriftnorm. Zudem ist Kyrillisch, anders als die auch nicht-lateinische Schrift der Griechen, graphisches Medium vieler weiterer slawischer und nicht-slawischer Völker - dank Bulgarien wird Europas Kultur umfassender.
Und wir Deutschen waren dabei. König Ludwig der Deutsche hatte 864 die Christianisierung der Bulgaren eingefädelt, christliche Liturgie braucht Schrift, die die Slawen noch nicht hatten. Kyrill und Method, zwei Mönche aus Thessaloniki, hatten 862 im Großmährischen Reich in der Auseinandersetzung mit deutscher Kultur die Glagoliza geschaffen, das erste slawische Alphabet, das ihre Schüler 886 den Bulgaren brachten. Denen war dieses reine Kunstprodukt, das kaum Ähnlichkeiten zu anderen Schriften aufwies, bald zu unpraktisch, weshalb Bulgaren-Herrscher Simeon I. 893 eine Reform verfügte. Aus 24 griechischen und 14 glagolitischen Buchstaben entstand die neue Kyrilliza. Der Deutsche Reginon von Prüm (842-915) war Augenzeuge dieses Urknalls allslawischer Schriftkultur, der Geburt einer Schrift, die in national variierten Formen bis heute bei Russen, Ukrainern, Serben, Bulgaren geschrieben wird.
Bei Westeuropäern gilt Kyrillisch als höllisch schwierig, ist dabei aber kinderleicht. Vor 45 Jahren, als in Deutschland der Übergang von der Grund- zur Oberschule noch an Aufnahmeprüfungen gebunden war, hatte ein Hamburger Lehrer stets die besten Prüfungsergebnisse. Er ließ die Kinder spielen - mit seiner "Geheimschrift OMATEK". Der Pädagoge war nämlich Russischlehrer und seine Geheimschrift war das kyrillische Alphabet, in dem O-M-A-T-E-K mit lateinischen Buchstaben identisch sind.
In der Geschichte haben viele die Kyrilliza verändert, am nachhaltigsten der große Russen-Zar Peter im frühen 18. Jahrhundert, der serbische Sprachreformer Vuk Karadjic um 1830 und Lenin nach 1919. Um 1930 wollte Stalin sie abschaffen, weil sie ihn zu sehr an Zarentum, Orthodoxie und Reaktion erinnerte. Aber daraus wurde nichts, vielmehr entstand im Mai 1945 mit der makedonischen Kyrilliza das bislang jüngste Kind dieser Schriftfamilie.
Vor etwa 20 Jahren zeigte die Kyrilliza in allen ihren Variationen deutliche Zeichen von Schwäche. Vor allem unter dem Druck von anglo-amerikanischer Wirtschaftsterminologie und lateinisch kodierter Computer schien ihr Stern zu sinken. Aber diese Schwäche ging vorbei: Die "Asbuka" - wie die Kyriliza bei Slawen nach ihren ersten Buchstaben genannt wird - hat sich als in allen Belangen gleichwertige Schrift erwiesen. Wer s nicht glaubt, soll doch mal mit Bulgaren den 24. Mai feiern, den "Kyrill und Method-Tag".
Mit den Bulgaren kam die Kyrilliza nun in die EU, Bulgarien ist glücklich und stolz. Ministerpräsident Sergej Stanischev betonte, wie kulturell wichtig es sei, "daß wir in der EU Bulgarisch sprechen können und alle europäischen Institutionen ihre Dokumente in unsere Sprache übersetzen müssen".
Wird es den Europäern nun wie jenen Touristen ergehen, die sich in Sofia über die vielen Ladenschilder "PECTOPAH" wunderten - weil sie nicht wußten, daß sie vor einem kyrillisch geschriebenen "Restoran" standen?
Umgekehrt müssen die Bulgaren sich endlich einigen, wie ihre kyrillischen Namen ins Lateinische transkribiert werden, wofür es momentan noch vier verschiedene Systeme gibt. Man könnte die UN-Transkription übernehmen, aber die richtete sich allein nach der russischen Kyrilliza. Weil es zwischen bulgarischer und russischer Schrift gewichtige Unterschiede gibt, von Ukrainisch und Serbisch gar nicht zu reden, hat derzeit das Institut für bulgarische Sprache viel Arbeit und Verwaltungsminister Vasilev viele Sorgen, wer die Arbeit der Linguisten bezahlen soll.
15 Jahre lang war Bulgarien auf dem Weg zur EU, jetzt ist es angekommen und wird das gebührend feiern. Aber weil Bulgaren nun mal die "Preußen des Balkans" sind - auf diese Charakterisierung sind sie sehr stolz -, wird im Festtrubel die eigene Schrift nicht vergessen.
Finanzminister Plamen Oreschovski hat die Europäische Zentralbank ersucht, die gemeinsame Währung auch bulgarisch zu benennen: Evro. Und natürlich auch bulgarisch zu schreiben - auf die Gefahr hin, daß mancher Europäer sie als Ebpo liest. Ein Vorschlag: Widerstrebende sollten zur Strafarbeit aller Slavistikstudenten verdonnert werden, das "Lehrbuch der altbulgarischen Sprache" durchzuackern, 1871 verfaßt von dem Deutschen Aug |
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