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In biederer Oberlehrermanier

 
     
 
Golo Mann war ein ungewöhnlicher Historiker. Seine 1958 erstmals publizierte und immer wieder neu aufgelegte "Deutsche Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts" und natürlich sein großartiger "Wallenstein" von 1971 sind Beispiele historiographischer Meisterschaft, die in unseren Breiten selten anzufinden sind. Anders als seine deutschen Fachkollegen, die sich gern hinter schwer lesbare, vermeintlich wissenschaftliche Satz- und Wortungetüme zurückzogen und sozialen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Prozessen
bald mehr abgewinnen konnten als den handelnden Akteuren, hat der schüchterne Außenseiter Golo Mann Geschichte in erster Linie erzählt. Seine Sprache war - anders als die Kunstprosa seines Vaters - einfach und schnörkellos, dabei stets plastisch und klar.

Man hätte dem vor zehn Jahren verstorbenen Historiker einen Biographen gewünscht, der über ähnliche Talente verfügt. Um so größer fällt die Enttäuschung über Urs Bitterlis Versuch aus, Leben und Werk von Golo Mann zu beschreiben. Bitterli ist ein behäbig-biederer Schweizer und war zunächst Gymnasiallehrer in Davos und

Aarau. Diese Mischung ist fatal. Sein Stil ist ungelenk und ohne eine literarische Note und stellt einen ungewollten Kontrast her zur meisterhaften Prosa des Biographierten. Nicht selten belehrt uns der Autor in Oberlehrermanier. Die Anlage des Buches fällt ebenso schlicht aus: Fein säuberlich unterteilt Bitterli das Leben Golo Manns in verschiedene Abschnitte, die er dann "Der Historiker", "Der politische Publizist" und "Der Leser" nennt.

Nennenswert Neues bleibt uns der Biograph, der Manns Nachlaß auswerten konnte, dabei schuldig. Dafür erfahren wir, wer Friedrich Schiller, Rolf Hochhuth oder Carl J. Burckhardt sind. Dadurch verschwendet Urs Bitterli sinnlos Seite um Seite, ohne uns Golo Mann wirklich näherzubringen. Wo bleiben der rote Faden und die Fragestellung?

Ganz ärgerlich wird es, wenn uns Professor Bitterli mit seiner politischen Korrektheit nervt, die auch vor unwahren Behauptungen nicht zurückschreckt. Golo Manns Eintreten für die Ost- und Deutschlandpolitik Willy Brandts ist nach dieser Lesart selbstverständlich völlig naheliegend und legitim. Daß der Historiker ein paar Jahre später für Franz Josef Strauß eintrat, übersteigt Bitterlis Fassungsvermögen, der dann auch vor scharfen Rügen an die Adresse Golo Manns nicht zurückschreckt.

Bitterli verzeiht es dem Autor des "Wallenstein" nicht, daß dieser keine Scheu kannte, sich auch in Boulevardzeitungen oder in der "Springer-Presse" zu Wort zu melden. Der daraus resultierende Vorwurf, der alternde Golo Mann habe sich fast nur noch in der "rechtskonservativen" Presse geäußert, ist an den Haaren herbeigezogen. Wenn "rechtskonservativ" mit "nicht links oder linksliberal" übersetzt wird, könnte man Bitterli vielleicht zustimmen.

Urs Bitterlis Golo-Mann-Biographie ist allenfalls ein Steinbruch und eine Materialsammlung, woraus sich spätere Biographen bedienen können. Nach der Lektüre dieses Buches verspürt man aber wieder Lust auf all die prächtigen Bücher und Essays aus der Feder von Golo Mann. Das ist doch auch schon etwas.

Urs Bitterli: "Golo Mann. Instanz und Aussenseiter. Eine Biographie", Kindler Verlag, Berlin 2004, geb., mit s/w Abb., 708 Seiten, 29,90 Euro

 
     
     
 
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