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Irak-Konflikt: US-Fanatiker machen mobil gegen Europäer

 
     
 
Rudi Kell ist fassungslos. Als US-Amerikaner lebt er schon seit 15 Jahren in Deutschland, reiste aber gern des öfteren in seine Heimat Pennsylvania. Seine alten Freundschaften jenseits des Atlantiks hat er über all die Jahre gehegt und gepflegt. Die Verbreitung des Internets machte das in den vergangenen Jahren ja auch immer einfacher. E-Mails gingen rege hin und her über den Ozean.

Seit einigen Wochen ist Rudis elektronischer Briefkasten ziemlich leer. "Ich habe alle meine Freunde in Amerika verloren", seufzt der rundliche Mann resigniert. Was passiert ist? "Ich habe per E-Mail Artikel aus dem englischen (Tageblatt) The Guardian, von mir übersetzte Beiträge aus deutschen Medien
und eigene Kommentare zum Irak-Konflikt rübergeschickt." Der Guardian zählt zu den eher Kriegs-kritischen Zeitungen Britanniens. "Einer nach dem anderen hat mir dann geschrieben, daß er nichts mehr mit mir zu tun haben will." Rudi ist Akademiker, seine Freunde zählen, wie er sagt, eigentlich eher zu dem Kreis, den Soziologen mit "Informations-Elite" umschreiben. Leute also, die politische und private Dinge trennen und Meinungsunterschiede aushalten. Diesmal aber ist alles anders. Da reicht es offenbar schon, nur auf die Existenz anderer Positionen hinzuweisen, um sogar alte Freundschaften zu sprengen.

Die Stimmung in Übersee ist aufgeheizt wie lange nicht. Im Internet machen Haß-Seiten Furore, die zum Boykott französischer und deutscher Produkte aufrufen: "Germanystinks" und "Francestinks" nennen sich solche Netz-Pamphlete. In deutschen Medien werden solche Exzesse als Ausrutscher heruntergespielt. Persönliche Erfahrungen wie die des Übersetzers Kell sprechen eine andere Sprache. Daß Ökonomen dennoch kaum Einbußen im deutsch-amerikanischen Handel befürchten, hat mit den harten wirtschaftlichen Fakten zu tun: Boykotte schaden dem Boykottierer nicht selten mehr als dem Boykott-Opfer. Dies machen sogar die amerikanischen Haß-Seiten - unfreiwillig - gleich auf den ersten Blick deutlich: "Patriotische" Amerikaner sollen keine Autos von Chrysler und Rolls-Royce mehr erwerben, bellen die Eiferer, weil deren Mutterkonzerne Daimler und BMW heißen. Getroffen von diesem Käuferstreik würden indes zuvörderst nicht die deutschen, sondern die amerikanischen Chrysler-Arbeiter in Detroit und die englischen Rolls-Royce-Macher. 4,9 Millionen US-amerikanische Arbeitsplätze, schätzen Wirtschaftsexperten, hängen von deutschen oder französischen Konzernen ab. Aber selbst in Deutschland grassiert bereits der Boykott-Virus. Ein Berliner Restaurant hat amerikanische Getränke von der Karte genommen - wegen der "aktuellen politischen Lage". Man wolle "etwas tun gegen den Krieg". Der Witz am Rande: Bei dem Lokal handelt es sich ausgerechnet um einen Italiener. Italien ist eines der Länder, die die USA bedingungslos im Krieg unterstützen. Wer wirklich boykottieren will, dürfte jene Gaststätte also gar nicht mehr betreten, japanische oder spanische ebensowenig.

Die Fanatiker beiderseits des Atlantiks scheren sich nicht um wirtschaftliche Vernunft. Erste deutsche Unternehmen melden, daß ihre US-amerikanischen Partner den Geschäftskontakt mit ausdrücklichem Hinweis auf den Irak-Konflikt abgebrochen haben. US-Medien berichten, daß Menschen französischen Wein in Gullys schütten; Pommes frites heißen in der Kantine des Washingtoner Repräsentantenhauses (einer der beiden Kammern des US-Parlaments) nicht mehr "french fries" sondern "freedom fries" (Freiheits-Fritten). Zu derlei skurrilen Rache-Akten ließen sich die Amerikaner zuletzt im Zweiten Weltkrieg hinreißen. Damals tauften sie das deutsche Sauerkraut in "Liberty Cabbage" (Freiheitskohl) um. Apropos Zweiter Weltkrieg: Eine US-Parlamentarierin hat gefordert, die rund 70.000 in Frankreich begrabenen US-Soldaten nach Amerika zu überführen - ein Vorschlag, dessen symbolische Wirkung kaum zu ermessen wäre.

Besondere Aufmerksamkeit wurde hierzulande Berichten zuteil, wonach deutsche Austauschschüler in den USA offenen Anfeindungen wegen Deutschlands Absage an Washingtons Kriegspolitik ausgesetzt sind. Das langgehegte Bild einer über die Jahrzehnte gewach-senen "deutsch-amerikanischen Freundschaft" hat danach tiefe Kratzer bekommen. Laut Umfragen gaben 2002 61 Prozent der befragten Bundesbürger an, ein positives Bild von den USA zu haben. Jetzt sagen dies nur noch magere 25 Prozent.

Rudi Kell erkennt seine amerika-nischen Landsleute nicht wieder. "Sind die denn alle verrückt geworden?" Eine drückende Atmosphäre lege sich über ein Land, das einst stolz gewesen sei auf seine Toleranz, auf seine Version von "Jeder nach seiner Façon". US-Oppositionelle beklagen laut den faktischen Niedergang der Meinungsfreiheit. Selbst in Großbritannien, Washingtons engstem Verbündeten, regt sich Unbehagen über die Stimmung beim Alliierten. Auf der Insel war die eigene Kriegsbeteiligung im Unterschied zu den USA frei und heftig diskutiert worden. Fast wäre die Regierung Blair darüber gestürzt. Erst seit Beginn der Kampfhandlungen stellen die Briten ihre Bedenken zurück. Ist der Krieg einmal da, will man seinen Soldaten gegenüber loyal sein.

Rudi Kell zog seine eigenen Konsequenzen: Der Mann, dessen Familie Deutschland vor vielen Generationen verlassen hatte, wird seinen US-Paß abgeben. Er hat die deutsche Staatsbürgerschaft beantragt.

Patriotische Auswüchse: Um ihre Vaterlandsliebe zu demonstrieren, nennen die Amerikaner Pommes frites, die bisher "french fries" hießen, nun freedom fries. Ob sich die Franzosen allerdings gedemütigt fühlen, da Pommes jetzt nicht mehr nach ihnen benannt sind, bleibt zu bezweifeln.
 
     
     
 
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