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Stefanie weint herzerweichend. Die Tränen kullern der süßen 19jährigen in großen Tropfen die Wange hinab. Die Kamera zoomt langsam von dem Möchtegern-Popstar auf der Bühne weg hin zur Jury, die sie gerade abgewählt hat. Diese blickt allerdings auch ganz ergriffen drein. Der Fernsehzuschauer ist ebenfalls gerührt - oder genervt - und wechselt das Programm. Doch auch hier wird gerade eine Talent-Show angekündigt. Selbst die öffentlich-rechtlichen Sender mischen eifrig bei diesem neuen Format mit. Junge Talente sucht das Land!
Ob Model, Sänger, Schauspieler oder Komik er, nach allen wird zur Zeit in den großen deutschen Städten "gecastet". Zu Tausenden stehen junge Menschen, meist noch halbe Kinder, schon Stunden vor Beginn in Schlangen vor den von den Sendern für diesen Fall extra gemieteten Hotels. Man sieht knapp bekleidete Mädchen, die mit dünnen Stimmchen hoffnungsvoll ins Mikro trällern und dann, nachdem sie - aus berechtigten Gründen - abgewiesen wurden, hysterisch zusammenbrechen. Man sieht chaotisch gekleidete Jungs, die mit Schlägen drohen, weil ihr Beitrag bei der Jury nicht auf Gegenliebe stößt.
So mancher vor allem ältere Zuschauer dieser bizarr anmutenden Vorgänge fragt sich geängstigt, was denn bitte in die heutigen Jugendlichen gefahren ist. Massenweise schwärmen sie von diesem oberflächlichen Glamour und drängen in die Scheinwelt der Stars, während die Pisa-Studie belegt, daß sie dümmer sind als viele ihrer europäischen Altersgenossen. Wissen scheint in den Augen dieser Jugendlichen nicht mehr wichtig zu sein.
Was soll allerdings ein 16jähriger Schulabgänger sagen, der stolz auf seinen mit überdurchschnittlich guten Noten bestandenen Realschulabschluß ist, nun aber keine Lehrstelle hat. Was hat es ihm gebracht, daß er sich jahrelang fleißig in seinen Büchern vergraben hat, statt mit seinen weniger engagierten Mitschülern die neuesten Computerspiele zu testen? Was empfindet die 19jährige Abiturientin, die sich trotz mangelhafter Studienberatung für ein Studium entschieden hat, nun aber feststellen muß, daß aufgrund finanzieller Engpässe an der Universität nicht die notwendigen Kurse angeboten werden? Und die erst viel zu spät erfahren wird, wie trübe die Aussichten auf einen Arbeitsplatz gerade in diesem Fach sind?
Reisen, Auto, eigenes Häuschen und Familie, die Zukunftspläne der Eltern, scheinen heute schwer zu erlangen, wenn man gleich nach der Schule auf der Straße steht. Zudem sind die Jungen von heute von Haus aus auch verwöhnt, schließlich haben die Eltern ihnen lange jeden Konsumwunsch erfüllt. Nun aber sollen sie anfangen, auf eigenen Füßen zu stehen, finden aber leider häufig keinen festen Boden, auf dem es sich stehen läßt.
Soziales Jahr, schulische Weiterbildung, wechselnde Praktika heißen einige der Lösungen, mit denen der Staat die jungen Arbeitskräfte von der Straße fernhält, doch sie sind nur eine kurzfristige Beschäftigungstherapie. Ohne Ziel läßt sich da so mancher resigniert treiben, zudem ist man ja bequem, kennt schlechte Zeiten nur aus Erzählungen der Großeltern. Doch was ist der Mensch ohne Ziel? Ohne Träume?
Hier bietet die Glitzerwelt scheinbar Abhilfe. Wenn ich beim Casting gewinne und ein Star werde, bin ich berühmt, verdiene viel Geld, kann mir einen Luxuswagen leisten, und eine Villa, reise durch die Welt und werde von allen bewundert, lautet die Schlußfolgerung. Dieser Ver-lockung können nur wenige widerstehen. Die Hintergründe durchschauen noch weniger, schließlich sieht man ständig im Fernsehen, daß es einige wie sie schon geschafft haben. Und so wird gesungen, getanzt, über den Laufsteg getrippelt und versucht, lustig zu sein, als ob es nichts anderes auf der Welt gäbe. Traurigerweise kennen allerdings auch viele nichts anderes, sie sind Kinder ihrer Zeit, Kinder, die in der Welt leben, die ihnen ihre Eltern vorlebten.
Bestimmt werden noch einige wenige es schaffen, zum Star gewählt zu werden. Ihr Traum wird für einen Augenblick in Erfüllung gehen, sich aber in den meisten Fällen schnell als Illusion erweisen, denn wenn sie nicht das nötige Geld einbringen, wird man sie schnell fallenlassen. Dann stehen sie wieder auf der Straße und werden nach einem neuen Traum suchen, für den sie leben können. Hoffentlich ist Deutschland bis dahin soweit, daß es seiner Jugend wieder bessere Ziele anbieten kann.
Die Ideale der Jugend werden von den Erwachsenen gemacht |
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