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Wer kennt nicht Doktor Dieffenbach, den Doktor der Doktoren? Er schneidet Arm und Beine ab, macht neue Nas und Ohren!", schrien die Gassenjungs dem Mann hinterher, der da in seinem von Trakehnern gezogenen Wagen durch die Straßen Berlins kutschierte. Und in der Tat: es war der Doktor Johann Friedrich Dieffenbach, doch so blutrünstig, wie es der Ruf der Gassenjungs verhieß, war der Chirurg nun doch nicht. Ihm lag stets das Wohl der Menschen am Herzen, ihnen wollte er dienen, ihnen in einer schweren, für andere aussichtlos erscheinenden Situation helfen. Schwerpunkt seines Schaffens war die plastische Chirurgie. Er half den Menschen, indem er entstellte Gesichter, Mund- und Kieferpartien wiederherstellte. Manche sehen in Dieffenbach sogar den Vater der kosmetischen Chirurgie, die heute allerlei Urständ feiert.
Geboren wurde Johann Fried-rich Dieffenbach am 10. Februar 1792 in Königsberg. Sein Vater war Lehrer am ehrwürdigen Friedrichskolleg und wünschte, daß sein Sohn Theologe werden sollte. Als er früh starb, zog die Mutter mit dem Sohn nach Rostock zu Verwandten. Dort besuchte Dieffenbach die Lateinschule und nahm ein Studium der Theologie auf. 1812 ging er nach Greifswald, wo er seine Studien fortsetzte und wo er Ernst Moritz Arndt begegnete.
Mit Beginn der Befreiungskriege meldete sich auch Dieffenbach zu den Fahnen. Das Erleben des Krieges, der Anblick der vielen Schwerverwundeten prägten den Königsberger nachhaltig. Er beschloß, Medizin zu studieren, und ließ sich 1816 an der Königsberger Albertina immatrikulieren. Konrad Burdach, Karl Ernst von Baer und Karl Unger zählten zu seinen Lehrern. Dieffenbach war begeistert; er schrieb an seine Schwester: "Zum Chirurgen bin ich geboren."
1818 gründete Dieffenbach die große städtische Schwimmschule in Königsberg, doch schon zwei Jahre später mußte er seine Vaterstadt und die Universität verlassen, da er sich an der burschenschaftlichen Bewegung beteiligt hatte. Sein Studium setzte er daraufhin in Bonn, Paris und Montpellier auf einer Reise als ärztlicher Begleiter der russischen Fürstin Protasekow fort und wurde 1822 in Würzburg mit seiner in lateinischer Sprache abgefaßten Dissertation "Nonulla de regeneratione et transplantatione" zum Doktor der Medizin promoviert. Seinen Beruf, Menschen zu heilen, durfte er damit jedoch in Preußen nicht aus-üben. Und so legte er 1824 in Berlin sein preußisches Staatsexamen ab und ließ sich dort als frei praktizierender Arzt nieder. 1829 wurde der Königsberger dirigierender Arzt der chirurgischen Abteilung des Charité-Krankenhauses, drei Jahre später erhielt er den außerordentlichen Professorentitel. 1840 verließ er die Charité und wurde Nachfolger seines verstorbenen Lehrmeisters Carl Ferdinand von Graefe als Direktor am Königlichen Klinikum an der Ziegelstraße.
Dieffenbach verfaßte zahlreiche Werke über Blutinfusion und Transfusion und über die Wiederherstellung zerstörter Teile des menschlichen Körpers. Auch zählte er zu den ersten in Europa, die bei ihren Patienten die 1846 in Amerika erfundene Äthernarkose anwandten. Für seine chirurgische Arbeit unternahm er auch zahlreiche Versuche, nicht zuletzt an sich selbst, so bei der Verpflanzung von Haaren. Auch fand er neue Methoden für die Neubildung von Nasen, Augenlidern, Lippen, für Hautübertragungen und den Muskelschnitt bei Schielenden. "Der Chirurg muß in diesem Falle Bildhauer werden", erkannte er. "Ich glaube, derjenige Chirurg wird die beste Hautnase machen, der auch mit der Geschicklichkeit eines Bildhauers dieselbe aus unorganischer Masse zu formen im Stande ist."
Johann Friedrich Dieffenbach starb während der Pause einer klinischen Demonstrationsvorlesung am 11. November 1847 im Alter von nur 55 Jahren. Wie sehr der Königsberger sich als Helfer der Menschheit sah, zeigt eine Anekdote aus seinem Leben:
Dieffenbach war auf dem Weg zu einer dringenden Operation, bei der es um Leben und Tod ging. Er rollte mit seinem Wagen an einer Kirche vorbei, als er von einem Schutzmann aufgehalten wurde, der monierte, das Hufgetrappel der Pferde hätte den Gottesdienst gestört, schließlich sei Sonntag. Dieffenbach schwang die Peitsche und stieß den Schutzmann zu Seite. Die Folge: eine Gefängnisstrafe von vier Wochen. Friedrich Wilhelm IV. legte ihm ein Gnadengesuch nahe. Der Ostpreuße aber ließ sich nicht darauf ein und antwortete, er könne die Verantwortung für ein Menschenleben nicht der Polizei überlassen. Er werde ins Gefängnis gehen, dann aber Berlin verlassen. Der König zeigte sich beeindruckt und hob von sich aus die Strafe auf ... Peter van Lohuizen
Johann Friedrich Dieffenbach: Der begnadete Chirurg aus Königsberg gilt als der Vater der plastischen Chirurgi |
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