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Von "cohabitation" sprechen die Franzosen beschönigend, wenn Staatsoberhaupt und Ministerpräsident aus verfeindeten Fraktionen kommen. In Österreich zeigt sich seit Anfang 2000, daß ein solch unerquicklicher Zustand selbst dann möglich ist, wenn die Kontrahenten der gleichen Partei entstammen.
Der Karriere-Diplomat Klestil war schon als Student der ÖVP beigetreten, was sich für ihn durchaus lohnte: Er brachte es zum ranghöchsten Beamte n des Außenministeriums und wurde 1992 Präsidentschaftskandidat der ÖVP. Den Gepflogenheiten entsprechend, trat er nach der erfolgreichen Wahl aus der Partei aus, doch war 1998 seine Kandidatur für die zweite Amtsperiode wiederum von der ÖVP getragen. (Analysen zufolge stimmten 1998 auch die meisten FPÖ-Sympathisanten für Klestil.)
Bundeskanzler Wolfgang Schüssel war in SPÖ-geführten Regierungen selbst noch Außenminister gewesen. Die Animositäten zwischen ihm und Thomas Klestil wurden der Öffentlichkeit - und man kann sagen, der Weltöffentlichkeit - erstmals bei der Regierungsbildung 2000 vor Augen geführt. Klestils Haltung wurde und wird maßgeblich von seiner zweiten Frau bestimmt, die ebenfalls Karriere-Diplomatin ist, sowie von seinem neuen Freundeskreis um den Wiener Bürgermeister. Dementsprechend hatte Klestil auf einer Fortsetzung der gescheiterten rot- schwarzen Koalition bestanden, mußte aber die von Schüssel und Haider ausgehandelte ÖVP-FPÖ-Regierung angeloben.
Seither tobt ein Kleinkrieg, der sich primär im Außenministerium abspielt: Denn Außenministerin Ferrero-Waldner, dem Kanzler treu ergeben, ist dienstlich die Vorgesetzte von Klestils Frau, diese aber spielt zugleich "First Lady" und versorgt ihren Gatten mit allen Informationen. Als Folge gibt es nicht nur interne Probleme, sondern auch eine Flut von Dienstreisen und Staatsbesuchen mit Doppelgleisigkeiten und Lächerlichkeiten aller Art. Zwischen Präsidentschaftskanzlei und Bundeskanzleramt am Ballhausplatz sind es nur wenige Meter, ja es gibt sogar eine unterirdische Verbindung, aber die Kluft ist tief.
Der Streit um die Pensionsreform brachte eine neue Eskalation: Klestil fand es für opportun, genau zwölf Personen zu einem "runden Tisch" zu sich in die Hofburg zu laden. Das Mobiliendepot konnte bloß einen länglichen Barocktisch mit abgerundeten Enden auftreiben, für ein Abendmahl unter Klestils Vorsitz zwar durchaus geeignet, doch Schüssel brachte einfach noch zwei weitere Minister mit. Ein Resultat gab es erwartungsgemäß zwar keines, dafür aber in den Tagen darauf gleich mehrere Treffen mit den Sozialpartnern - an einem wirklichen runden Tisch im Bun-deskanzleramt.
Die Retourkutsche kam prompt: Klestil, der seine Hofberichterstattung sonst über ein buntes Wochenblatt abwickeln läßt, bediente sich diesmal der Neuen Zürcher Zeitung. Dem Bericht des Korrespondenten zufolge habe Klestil darauf hingewiesen, daß es ihm die Verfassung erlaube, den Bundeskanzler auch ohne Angaben von Gründen zu entlassen. Eine Welle der Entrüstung brach los - bis weit in die Opposition hinein! Denn für die allermeisten Österreicher hat ein Staatsoberhaupt so zu agieren, wie es einst Kaiser Franz Joseph und auch alle Amtsvorgänger Klestils hielten, nämlich zu repräsentieren und sich nicht in die Tagespolitik einzumischen.
In der Pensionsfrage selber hört man von Fortschritten, doch einerseits werfen Experten der Regierung bereits zu große Konzessionen vor, und andererseits kündigen die Gewerkschaften neue Streiks an. Genau wie in Deutschland und Frankreich ist auch in Österreich die Lage so verfahren, weil der "Generationenvertrag" eben nur funktioniert, wenn er sich auf eine echte Solidargemeinschaft stützen kann, auf das Volk. Eine Bevölkerung - als Summe von gegensätzlichen und leicht manipulierbaren Einzelinteressen - ist keine ausreichende Basis.
Bemerkenswerterweise eskaliert der Streit um den Sozialstaat jetzt just in Deutschland und Frankreich, die sich beide gegen den Irak-Krieg querlegten, sowie in Österreich, das zu Kriegsbeginn den Neutralitätsfall erklärte und damit einige Umwege für Luftangriffe und Logistik "verschuldete". Man soll zwar keine Dolchstoß-Legenden erfinden, aber nachdenken wird man wohl noch dürfen. Und Gewerkschaftsführer müßten dies sogar tun. |
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