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Schon wieder gibt es diese dammlige Kartoffelsupp , wo mich überhaupt nicht schmecken tut. Warum machst denn nicht Keilchen mit Räucherspeck und Pflaumen oder Schaltenoßes. Immer dieses graurige Essen mit Zwiebel, Lorbasblätter und Kartoffel. Bei Lachmanns gibt es jeden Tag Spirkel gebraten, und bei Mischkes immer Kartoffelflinsen. Kannst ja auch, wenn nuscht anderes mehr weißt, Mostricheier machen, die ess ich auch ganz gern. Aber Kartoffelklöße, mit kleine Spirkelchens rübergebraten, viel Speckfett und noch so ein größeres Spirkelchen daneben, dafür könnt ich glatt tot umfallen."
"Bist ein Nimmersatt und Vielfraß", sagte Guste Bahlke zu ihrem zehnjährigen Jungen, der Siegfried hieß und mit seinen lustigen Augen, den Sommersprossen und den krusligen blonde n Haaren seinem Vater ganz und gar ähnelte. Selbst ihr Gang und ihre Erzählkunst hatten etwas Gemeinsames.
Siegfried versuchte in die Kochtöpfe zu sehen, in der Hoffnung, daß doch wenigstens in einem Rote Grütze oder Schokoladenpudding zu erspähen sei. Aber nichts, rein gar nichts. Es roch nur streng nach Zwiebeln, Lorbeerblatt und Gewürzkörnern. Ihn schauderte richtig.
Die Mutter versuchte, ihrem Kleinsten den Kopf zu puscheien, aber das konnte er schon gar nicht leiden. Das war doch bloß was für kleine Kinder. Sie versuchte ihm zu erklären, daß ja in der Kartoffelsuppe doch auch noch die Zieskewurst drin lag und daß das doch ein gehöriger Lichtblick sei. "Ja", wie verklärt wurde sein Blick, "wenn du doch die Kartoffelsupp ohne alles kochen würdest, bloß nur aus Wurst, dann würde es mir ja auch schmecken."
"Siegfriedchen", die Mutter packte ihn fest an den Schultern und zwang ihn, sie anzusehen. "Ei ja, was wird denn sein, schmeckt auch wie Hund ohne Zagel, wenn du es alle Tage essen müßtest. Aber sieh mal, morgen ist Sonntag, da gibt es doch immer ein besonders schönes Essen. Ich mach Schweinebraten und Schmorkohl, feine Schwenkkartoffeln, Suppchen und Zitronenspeise, da kannst dich doch heute schon drauf freuen. Alle Tage darf man gar nicht so fein essen, denn kann man sich nämlich nichts Schöneres ausdenken." "Ich aber schon", meinte er mit leicht verdrehten Augen.
Bis zum Essen war noch Zeit. Siegfried ging zu seinen Kaninchen. Die braungraue Murpsel hatte sechs Junge bekommen. Er hatte ein Stück trockenes Brot mitgenommen und schob es durch den Maschendraht. Dann aber überlegte er es sich anders. Er machte den Verschlag auf und nahm seine Murpsel auf den Arm. Sie war unter allen Kaninchen die einzige, die so zahm war.
Heute hatte er in der Schule Senge bezogen, mit dem Rohrstock auf die Hand. Das hatte vielleicht getibbert. Er spürte es noch, das Kribbeln. Dabei hatte er doch gar nicht viel gemacht. Er hatte nur Grete, der alten Petze, die auch immer gleich über alles heulte, die Haarschleifen aufgebunden und ein winzig kleines Spitzchen ins Tintenfaß gehalten. Und als sie es dann bemerkte und anfing zu blärren, da hatte er ihr noch die Zunge rausgestreckt. Die verstand aber auch gar keinen Spaß. Dabei hatte sie ihn erst neulich wegen der Maus, die er in der Klasse laufen ließ, beim Lehrer Fabian verraten. Natürlich hat es einen Eintrag ins Klassenbuch gegeben, und er kriegte auf jede Hand zwei kräftige Hiebe. Weh getan hat es gar nicht mal so sehr, aber diese alte Petze ...
Da war ihm die magere Christel mit dem schmalen Gesicht und den großen Augen schon viel, viel lieber. Aber sie lief gleich immer weg. Mit ihr konnte man überhaupt nicht reden. Manche sagten, sie wäre blöd, aber er meinte, daß ihre Mutter krank sein könnte und sie zu Hause noch viel arbeiten müßte.
Na ja, die Kartoffelsuppe wurde gegessen, und sie schmeckte sogar sehr gut. Mutter hatte, als die Suppe bereits in der Terrine war, aus der Bratpfanne mit großem Schwung ausgelassene Spirkel hineingegossen. Das war vielleicht ein Zischen und Dampfen. Mutter pellte dann die Würste geschickt mit Messer und Gabel und Siegfried bekam ein ganz hübsches Stück davon ab. Auch Opa schob ihm noch ein Stück von seinem zu, "damit mal ein Kerl aus dir wird", sagte er leise und verschmitzt.
Vater machte sich nachher am Boot zu schaffen, das hieß, daß er nachher zum Fischen oder Angeln fahren wollte. Da durfte er bestimmt mit. Das wurde dann ein ganz gemütlicher Nachmittag, und er konnte mit dem Vater über alles, auch über seine Seelennöte sprechen, über den Lehrer Fabian, über Grete und sogar über Christel. Warum er das mit Christel erzählte, wußte er nicht so recht, denn Christel kannte er doch fast gar nicht, hätte es aber gerne gehabt.
Der Vater war ein guter Zuhörer, gab auch ganz gute Antworten. Der Fang hatte sich auch gelohnt. Vier große Plötze hatten sie gefangen, darüber würde die Mutter sich freuen. "Aber weißt was", der Vater nahm einen Fisch aus dem Eimer, "uns reichen die anderen. Mit diesem geht du zu Christels Mutter und bestellst ihr einen schönen Gruß." Weil Siegfried nun fragte, wieso und warum, erfuhr er, daß Christels Vater verunglückt war und nun die Mutter die beiden Kinder durchbringen mußte. "Und wir können ihr doch auch ein bißchen dabei helfen." Der Vater sagte es ganz ernst, aber seine Augen lächelten. Siegfried glaubte noch nie so glücklich gewesen zu sein, als er Christel und ihrer Mutter mit dem Fisch gegenüberstan |
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