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Keimling und Samenkorn

 
     
 
Kann man eine künstlerische Begabung früh erkennen? Zeichnet sich bereits in frühester Jugend ab, wer später einmal ein berühmter Künstler werden soll? Die Meinungen gehen in der Beantwortung solcher Fragen meist auseinander. Bei Lovis Corinth jedoch war ein entsprechendes Talent nicht von der Hand zu weisen. Schon als Knirps schnitt er aus Papier Menschen und Pferde aus und wurde mit dieser Kunstfertigkeit von den Fleischern und Bauern, die mit dem Vater in Geschäftsbeziehung standen (der alte Corinth war Lohgerber), sehr bewundert. Die Mutter sah sein Talent beim Töpfern, dann könne er einmal die Blume
n auf die Scherben malen ...

Als Lovis Corinth in Königsberg das Kneiphöfische Gymnasium besuchen sollte, war er erst acht Jahre alt. Man hatte ihm versprochen, dort würde er jeden Tag Zeichenunterricht haben. Die Realität holte den Jungen schnell ein, doch wußte er sich zu helfen: Er zeichnete in (fast) allen Lebenslagen. So auch während des Musikunterrichts bei Musikdirektor Pabst, und zwar ein Porträt des Lehrers. Als der ihn dabei erwischte, regnete es zunächst Ohrfeigen. Dann allerdings besah er sich die Zeichnung. "Er lachte amüsiert und fragte mich, was ich werden wollte. Ich antwortete darauf Soldat, denn dieses Metier war grade bei mir an der Reihe", erinnerte sich Corinth. "Darauf er: ,Jung, werde doch Porträtmaler , faltete das Papier zusammen und steckte es in die Westentasche."

Andere Lehrer hingegen sind nicht so glimpflich davongekommen, betrachtet man eine Zeichnung, die Lovis Corinth in seiner Schulzeit schuf. Die "Prügelei auf dem Schulhof" zeigt einen der beiden Cholevias, Originale am Kneiphöfischen Gymnasium. "... der Sohn war spindeldürr und machte linealartige Bewegungen, seine Rede auch korrekt und gemessen. Wir spielten ihm auf der Nase herum ... Er hieß bei uns der Storch ..."

Diese Bleistiftzeichnung ist neben einem Aquarell mit einer Darstellung von Kähnen am Pregel, das Lovis Corinth als 14jähriger malte, eine ganz besondere Kostbarkeit, die auf einer Ausstellung im Kunstmuseum Halle / Westfalen zu sehen ist (Kirchplatz 2, donnerstags bis sonntags 10 bis 17 Uhr). "Wie muß das Kind seiner Umgebung erschienen sein?" fragt sich seine Witwe Charlotte Berend-Corinth, als sie den Nachlaß ihres Mannes für eine Ausstellung ordnet und dabei auf die frühen Werke stößt. "Schon mit fünf Jahren konnte er lesen und schreiben. Ein kleiner Bauernjunge - wie ein Wunder muß es doch erschienenen sein, daß er malte ..."

Unter dem Titel "Lovis Corinth als Impulsgeber für die Schülerfolge" sind Arbeiten seines Schülers Heinrich Assmann, von August Macke, Ewald Mataré, Joseph Beuys, Markus Tollmann und anderen auf der Ausstellung zu sehen. Das Kunstmuseum Halle ist übrigens das einzige Museum weltweit, das Kindheits- und Jugendwerke bedeutender Maler präsentiert.

Das 1987 eröffnete Haus aus dem 13. Jahrhundert steht unter Denkmalschutz und wurde in Eigeninitiative kostenaufwendig hergerichtet. Immer wieder ziehen Sonderausstellungen die Besucher an. Alt und Jung treffen hier aufeinander, und es kommt durchaus auch zu einem Austausch zwischen den Generationen.

Museumsleiterin Ursula Blaschke ist stolz: "Wir können in unserer neuen Sonderausstellung den Keimling zeigen und auf das aufgegangene Samenkorn, das drei Monate vor Corinths Tod entstandene Gemälde ,Ecce homo , hinweisen."

Lovis Corinth: Prügelei auf dem Schulhof; im Vordergund der Lehrer Cholevia (Sohn), an den er unliebsame Erinnerungen hatte. Fotos (2): Museum

Kähne am Pregel: Als 14jähriger malte Corinth dieses Aquarell.
 
     
     
 
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