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Hans-Peter Schwarz ist der beste deutsche Kenner der frühen Bundesrepublik und insbesondere der Person Konrad Adenauers. Nachdem er sich seit rund 40 Jahren mit dem "Gründungskanzler" beschäftigt und als Verfasser der zweibändigen Standardbiographie Maßstäbe gesetzt hat, legt er mit den "Anmerkungen zu Adenauer" nun einen schlanken Essay vor. Zunächst ist der Leser skeptisch: Titel und Anlage des Werkes scheinen Sebastian Haffners "Anmerkungen zu Hitler" zu deutlich abgeschaut zu sein. Doch nach der Lektüre ist man von Schwarz Vorgehen überzeugt. Wer quält sich heute noch - abgesehen vom Studenten der Politikwissenschaften oder einem Pensionär mit viel Muße fürs Lesen - durch rund 2.000 Seiten Adenauer? Obwohl bei Schwarz, der die eleganteste Feder unter Deutschlands Historikern führt, von Lesequal keine Rede sein kann.
Der Autor empfindet uneingeschränkte Bewunderung für seinen Helden. Adenauer - so Schwarz in seinem Vorwort - sei der "George Washington der Bundesrepublik". Und hier kommen wir zu dem einzigen Vorwurf, der sich dem Buch gegenüber aussprechen läßt. Der Verfasser ist bisweilen zu unkritisch. Selbst das Kapitel über Adenauers "Nachtseiten" spricht zwischen den Zeilen von den Schwächen wie von versteckten Stärken. Es wäre langweilig, den Inhalt des Bandes bloß nachzubeten. In wohlkomponierten Kapiteln schreibt Schwarz über das Leben, die Leistungen, die Außenpolitik, den angeblichen Verrat Adenauers (an der deutschen Einheit, Separatismusvorwurf), die Modernisierung und die Schattenseiten des ersten Bundeskanzlers. Am Ende fragt er noch: Was bleibt?
Interessanter ist, daß immer wieder ein Gegenwartsbezug deutlich wird. Bis vor kurzem war es en vogue, die Adenauer-Zeit als restaurativ zu verunglimpfen. Daß diese Zeit im Gegenteil eine Dekade aufregender Modernisierung war, wissen wir nicht zuletzt dank Schwarz fleißiger und pointierter Forschungsarbeiten. Auch wenn Adenauer am Ende seiner Tage im Kanzleramt zusehends von kulturkonservativen und -kritischen Wolken umgeben war, begann der über 70jährige Spitzenpolitiker doch als überzeugter Modernisierer. Nicht Kohl ist der legitime Enkel von Adenauer. Viel eher kann man die unverträgliche und rauflustige Margaret Thatcher mit dem Patriarchen aus Rhöndorf vergleichen. Adenauer war nicht auf Konsens, sondern auf Krawall gebürstet und fuhr in seinen ersten Amtsjahren ein dezidiert wirtschaftsliberales Programm. Er war ein liberaler Erneuerer und kein konservativer Sachwalter des Status quo. Schwarz bringt es auf den Punkt: "Marktwirtschaft und Bürgerblock - dies war eines der Rezepte zur Therapie der deutschen Krankheit der Jahre 1948 bis 1953."
Selbstverständlich mußte auch der Kölner Kanzler Rücksichten nehmen auf Gewerkschaften, Industrieverbände und Wählergruppen. Eine tiefgreifende und dauerhafte Gesundheitsreform gelang auch ihm nicht. Doch er war ein zupackender Machtpolitiker mit dem festen Glauben an sein eigenes Programm, ohne sich je in Theorien oder ideologische Grundsatzdebatten zu verlieren. Im Gegensatz zu heutigen Politikern christdemokratischer Couleur gehörte er nicht zu dem Club der Harmlosen, wie Schwarz spitz bemerkt. Und in den letzten Sätzen seines Buches wird die Sorge spürbar, die den mittlerweile 70-jährigen Zeithistoriker Hans-Peter Schwarz umtreibt: "Soll man, darf man sich heute an der Spitze der dahinsiechenden Bundesrepublik eine Persönlichkeit wie Adenauer wünschen, die mit gelegentlich recht inkorrekten Methoden das blockierte Deutschland runderneuert?" Es steht zu befürchten, daß diese Frage in den Wind gesprochen ist. Alexander Wenger
Hans-Peter Schwarz: "Anmerkungen zu Adenauer", Deutsche Verlags-Anstalt, München 2004, 222 Seiten, 17,90 Euro
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