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Zum 3. Oktober dem Tag der Einheit

 
     
 
Wann immer ich - beruflich oder privat - in Berlin zu tun habe, gönne ich mir dieses spezielle Vergnügen: einmal zu Fuß durch s Brandenburger Tor. Trotz teilweiser Verhüllung, werbe- wirksam, aber durch Renovierungsarbeiten bedingt, zeigen sich Pariser Platz und Unter den Linden. Rundum pulsiert das Großstadtleben, Bus- und Autokolonne
n wälzen sich von der modernistischen Architekturkulisse des Potsdamer Platzes zum altehrwürdigen Reichstag, der aus dieser Perspektive den Betonklotz namens Kanzleramt dem Blick entzieht. Zu diesem Erlebnis, das fast schon zum Ritual wird, gehört auch ein wenig Spurensuche. Wie hatte das damals hier ausgesehen, als Deutschland und seine Hauptstadt noch geteilt waren? Und was ist davon geblieben?

Die Spurensuche wird von Besuch zu Besuch schwieriger, erfolgloser. Wo die Mauer im Bogen vor dem Tor verlaufen war - man kann es nur noch ahnen. Da oben hatten sie sich verschanzt, mit der Waffe im Anschlag, die uniformierten Schergen des Regimes, um ihren "antifaschistischen Schutzwall" zu beschützen - vor wem eigentlich? Da drüben, wo jetzt die Autos entlangbrausen, hatte jene Besucherplattform gestanden, von der aus Ronald Reagan seinen dramatischen Appell an Michail Gorbatschow richtete: "Reißen Sie diese Mauer ein!" Wer erinnert sich heute noch daran? Reagan kann es nicht - der große Ex-Präsident leidet an Alzheimer. Viele, allzu viele unserer eigenen Landsleute aber erinnern sich der Teilung unseres Vaterlandes aus einem ganz anderen Grunde nicht mehr: Sie wollen sich nicht erinnern. Sie sind nicht interessiert an der Geschichte des eigenen Volkes. Mauer? Ach ja, da war mal was. Schießbefehl? Mich hat s ja nicht getroffen. Stasi? So was gibt es doch überall. Warum soll man sich mit so etwas heute noch belasten?

Diese Weigerung, sich zu erinnern, dieses Desinteresse an der eigenen jüngeren Geschichte ist schlimmer. Fast noch bitterer aber ist die Erkenntnis: Die meisten hatten sich auch damals nicht dafür interessiert, als diese Geschichte noch Gegenwart war. Man hatte sich in der westlichen Teilrepublik ja ganz gut eingerichtet, man wollte seine Ruhe haben im schönen Wirtschaftswunderland. Das Schicksal, vergessen und verdrängt zu werden, teilten die 16 Millionen in Mitteldeutschland eingemauerten Deutschen mit den zwölf Millionen aus dem Osten Vertriebenen, die in der Bundesrepublik angekommen waren, wer sich an diesen Schweige-Konsens nicht halten wollte, galt als Störenfried. Wie zum Beispiel jenes "Kuratorium Unteilbares Deutschland", das schließlich nur noch wahrgenommen wurde, wenn linksgewirkte Kabarettisten es als "Kuriosum Unheilbares Deutschland" verspotteten.

Diese honorige Organisation hatte das Brandenburger Tor zu seinem Emblem erkoren. Seine knappe und treffende Forderung lautete "Macht das Tor auf", was mit zunehmender Dauer der Teilung als revanchistisch, friedensgefährdend und verständigungsfeindlich eingestuft wurde. Seit über einem Jahrzehnt ist dieses Tor tatsächlich auf, ohne daß dies dem "Frieden" oder der "Verständigung" nachhaltigen Schaden zugefügt hätte. Am Brandenburger Tor sind die Spuren der jahrzehntelangen Teilung, dieses schändlichen Kapitels unserer Geschichte, verwischt. Das wäre nicht tragisch, wenn nicht auch die mahnende Erinnerung an dieses Kapitel weitgehend erloschen wäre. So aber begehen viele Deutsche diesen 3. Oktober, den Tag der Einheit, als Feiertag, ohne zu wissen, was sie da eigentlich feier
 
     
     
 
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