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Umrahmt von eindrucksvollen musikalischen Darbietungen der Berliner Bläserakademie unter der Leitung von Gerold Gnausch - gespielt wurden Werke von Josef Haydn, Georg Friedrich Händel und Wolfgang Amadeus Mozart sowie zum Schluß die Nationalhymne - begann der Festakt in der Komischen Oper Berlin mit der Begrüßung durch BdV-Präsidentin Eri-ka Steinbach. Mit berechtigtem Stolz konnte sie zunächst darauf verweisen, daß neben Bundespräsident Johannes Rau , Bundeskanzler Gerhard Schröder und Bundesinnenminister Otto Schily (der selber unter den Gästen weilte) auch die Ministerpräsidenten von 15 der 16 Bundesländer persönliche Grußworte übermittelt hatten; lediglich das rot-rot regierte Mecklenburg-Vorpommern machte durch demonstratives Schweigen auf sich aufmerksam.
Frau Steinbach begründete in ihrer Grundsatzrede, warum in diesem Jahr kein aktiver Politiker zu Wort kam: "Der Tag der Heimat des Bundes der Vertriebenen war niemals eine unpolitische Veranstaltung. Im Gegenteil. Es verfolgt wohl kaum eine gesellschaftliche Gruppe in Deutschland so wachsam politische Entwicklungen und Aussagen wie wir. Warum? Weil wir Opfer von Politik sind! So muß es wundernehmen, daß heute kein Politiker zu Wort kommt, wie all die Jahre zuvor. Das ist gewollt. Wenige Tage vor der Bundestagswahl möchten wir unser Schicksal nicht zum politischen Schlachtfeld machen. Alle Parteien dieses Landes haben die moralische Verpflichtung und die politische Aufgabe, sich dieses Themas verantwortungsvoll anzunehmen und es nicht auszublenden. Dazu rufe ich heute auf."
Die BdV-Präsidentin fuhr fort: "Deutschland heute ist geprägt von 12,5 Millionen Vertriebenen, die hier neue Wurzeln schlagen mußten. Deutschland heute ist geprägt durch eine historisch einmalige Integrationsleistung. Ohne die gelungene Integration hätte es kein Wirtschaftswunder geben können. Daran haben Einheimische und die Heimatver-triebenen gemeinsam ihren Anteil."
Zum von ihr initiierten Zentrum gegen Vertreibung erklärte sie unter anderem: "Wir wollten und wollen dabei auch die Vertreibung anderer Völker und Volksgruppen thematisieren und am Beispiel der deutschen Heimatvertriebenen und der anderen Vertreibungsopfer erreichen, daß die Völkergemeinschaft sensibilisiert wird und Vertreibungen geächtet werden. Das ist ein uni- verselles Menschenrechtsanliegen. Diese Ausrichtung, die über die Erfahrungen aus dem eigenen Schicksal hinausgeht, war für uns bei der Stiftungsgründung von essentieller Bedeutung. Gleichzeitig lasse ich keinen Zweifel daran, daß im Zentrum gegen Vertreibungen selbstverständlich die Vertreibung der Deutschen ihrer Dimension angemessen dargestellt werden muß. Das ist eine originäre deutsche Aufgabe, die nicht in irgendein anderes Land abgeschoben werden darf. Deutschland darf dieses Thema nicht zwanghaft ausblenden und sich wegducken.
Nicht nur persönliches Leid, sondern der Blick und das Mitgefühl für andere Opfer prägen unser Stiftungsanliegen. Das Bedürfnis aber, den deutschen Vertreibungsopfern einen Ort des Gedenkens einzuräumen, ist genauso fester und unverzichtbarer Bestandteil des Stiftungsanliegens. Der richtige Standort ist Berlin, die deutsche Hauptstadt."
Klare Worte fand Frau Steinbach auch zur Frage der EU-Osterweiterung: "Wir wollen, daß unsere Nachbarvölker Mitglied in der Europäischen Union werden. Denn wir wissen aus eigenem Schicksal und aus der Heimat, daß Europa weder an Oder und Neiße noch am Bayerischen Wald endet.
Wir wollen aber auch, daß menschenrechtsfeindliche Gesetze vor dem Beitritt abgeschafft werden. Die Rechts- und Wertegemeinschaft der EU wird Schaden nehmen, wenn das nicht geschieht. Wer die Diskussion über Entrechtungsgesetze und wer unser Anliegen als Provokation betrachtet, hat Europa nicht begriffen. Wer vergißt, daß jedes Land, das Mitglied in der EU werden will, Menschen- und Minderheitenrechte umgesetzt haben muß, vergeht sich am Geist und an der Zukunft Europas."
Und weiter: "Der BdV ist ein Verband, der für Menschenrechte ficht, und er ist auch ein Opferverband. Wer in den Wunden von Opfern mit glühenden Eisen bohrt, darf sich nicht wundern, wenn es einen lauten Aufschrei gibt. Daran möge jeder denken, der sich mit den Themen von Flucht und Vertreibung beschäftigt. Wir verlangen keine Sonderbehandlung. Die haben wir schon einmal durchlitten. Aber Sensibilität erwarten wir. Hier in Deutschland genauso wie von unseren europäischen Nachbarn."
Prof. Guido Knopp, Chef-Historiker des ZDF, stellte in den Mittelpunkt seiner stellenweise bewegenden Ansprache die persönlichen Erfahrungen, die er bei den Arbeiten an seinem TV-Fünfteiler "Die große Flucht" gemacht hatte: "Trauer um die Opfer: Lange gab es hierzulande Stimmen, die uns diese Trauer gleichsam untersagen wollten. Weil Hitler den Krieg begonnen hat, weil Deutsche zu Tätern im Holocaust geworden sind, sei uns eine solche Trauer gleichsam verwehrt. Ich halte das für anmaßend. Es hat nichts, aber auch nichts mit Relativierung oder gar Aufrechnung zu tun, wenn wir der Toten gedenken, die auf den eisigen Straßen Ostdeutschlands gestorben sind; wenn wir der Toten gedenken, die auf der Flucht über die Ostsee mit ihren Schiffen untergegangen sind, wenn wir der Toten gedenken, die als Zwangsarbeiter nach Sibirien verschleppt worden sind. Für die Überlebenden der Trecks war es jahrzehntelang fast eine Zumutung, daß sie ihr Erleben im Privaten halten mußten. Die teils offene, teils versteckte Botschaft der nichtgeflohenen, nichtvertriebenen Mehrheit der Bevölkerung hieß: Ihr müßt mit Eurem Leid alleine fertig werden. Außerhalb der Freundeskreisen fanden die Erinnerungen der Betroffenen kaum Gehör.
Ich sage das aus eigenem Erleben. Meine Großeltern, die aus Oberschlesien erst geflohen, dann für ein paar wirre Wochen nach dem Krieg zurückgekehrt, sodann nach furchtbaren Erlebnissen vertrieben worden sind - sie haben am Verlust von Heim und Heimat schwer getragen. Noch schwerer aber an der Tatsache, daß keiner ihrer Nachbarn in der neuen Heimat für das schmerzlichste Kapitel ihres Lebens Interesse aufgebracht hat. Sie konnten außerhalb der eigenen Familie nicht darüber reden. Und am Ende wollten sie es auch nicht mehr. So wurde die traumatische Erinnerung an die Vertreibung nie verarbeitet. Die Wunden heilten, doch die Narben schmerzten - bis zu ihrem Tode."
Damit ist der Historiker, der aufgrund seiner früheren TV-Arbeiten in Vertriebenenkreisen nicht unumstritten war, wohl endgültig an der Seite der Opfer angekommen. Das bestätigen auch folgende Passagen seiner Ansprache: "Nicht alle der Erinnerungen sind geprägt von Trauer und von Zorn. Es findet sich auch Dankbarkeit. Auch von Stolz ist hier und da die Rede. Daß man mit nichts im Westen angekommen ist und es dort nach Jahren der Entbehrung doch geschafft hat - obwohl man vielfach ja mit Argwohn und mit Mißgunst angegiftet oder, je nach Herkunft, gar als ,Polack , als ,Sudetengauner oder ,Flüchtlingspack beschimpft wurde. Doch ohne dieses ,Flüchtlingspack hätte in der Bundesrepublik das vielzitierte nachkriegsdeutsche Wirtschaftswunder gar nicht stattgefunden.
Diese Menschen mochten kein Vermögen haben - doch sie hatten Kenntnisse, sie hatten Ehrgeiz, wollten es zu etwas bringen, wollten wieder menschenwürdig leben. Und sie gingen dorthin, wo die Arbeit war. Das sogenannte ,Wirtschaftswunder war für sie kein Wunder, sondern harte Arbeit und Verzicht auf Zeit. Ohne die Vertriebenen und Flüchtlinge von einst wäre es wohl kaum so glanzvoll ausgefallen. Daß es nach dem Krieg gelungen ist, Millionen heimatloser Menschen wieder ein Dach über dem Kopf zu geben, sie in Wirtschaft und Gesellschaft einzugliedern - ohne Streiks und Unruhen - das ist das eigentliche deutsche Nachkriegswunder. Wir sehen: Die Geschichte von Flucht und Vertreibung ist nicht nur eine Geschichte von Trauer und Zorn. Sie ist auch eine Geschichte von Mut und Hoffnung. Eine Geschichte, die zeigt, was Menschen Menschen antun können. Aber auch eine Geschichte, die lehrt, wozu Menschen fähig sind, wenn es um das Überleben ihrer Kinder und Familien geht."
Der frühere Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Joachim Gauck, schließlich beeindruckte mit einer zutiefst nachdenklichen, manchmal unbequemen, immer aber von tiefem Mitgefühl geprägten Festrede. "Manche Menschen leben, als sei die Fähigkeit zu erinnern ihnen nicht gegeben. Es gibt Menschen, die scheinbar alles vergessen haben, was ihnen angetan wurde. Nichts kommt über ihre Lippen, sie behelligen weder ihre Mitmenschen noch sich selbst mit dem Vergangenen. Ganz anders die, die nicht aufhören können, sich zu erinnern und ihrer Umwelt geradezu manisch eine immerwährende Litanei von erlittenem Unrecht und Ungerechtigkeit vorzutragen ...
Versöhnung mit dem eigenen Schicksal, mit dem Leben und der Geschichte kann dann nicht gelingen. Hier kann übrigens die Öffentlichkeit, können wir alle etwas tun. Eine Aufmerksamkeit und Sensibilität, ein öffentliches Interesse ist notwendig, um Verhärtungen zu hei- len ... Schweigen hilft oft, nach einem Trauma zu überleben, aber dauerhaftes Schweigen befestigt Leiden. Es befestigt Ressentiment und Groll, es ist eine Gefangenschaft der Seelen und vermindert oder löscht unsere Fähigkeit, fremdes Leid zu achten, zu beachten und letztlich zu beweinen. Darum ist es wichtig, gerade im Osten Deutschlands, wo die Leidensgeschichten des Kriegsendes im öffentlichen Raum nichts zu suchen hatten, Menschen einzuladen, die Last ihrer Erinnerungen durch Sprechen ertragbar zu machen ...
Seit Jahren bedrückt es mich, daß alles, was uns seit dem Krieg im freien Deutschland gelungen ist, in seiner Bedeutung verschwindet hinter der Tatsache, daß frühere Deutsche Verursacher des großen Völkermordes waren. Ich vermute, daß ich selber als Pfarrer und ideeller 68er dabei mitgewirkt habe, Schuldgefühle, die zur Generation meiner Eltern gehören, selber zu empfinden und auch noch der nächsten Generation weiterzugeben.
Aber wir schreiben ein neues Jahrhundert, andere Deutsche sind herangewachsen. Ostdeutsche, die 1989 eine lange Diktatur in einer friedlichen Revolution beseitigten, und Westdeutsche, die ein Land schufen, das seit nunmehr über 50 Jahren Menschen- und Bürgerrechte achtet, Freiheit und Demokratie und Frieden lebt - so lange, wie es die Nation in ihrer ganzen Geschichte bislang nicht kannte. Wo bleibt da eigentlich unser Selbstbewußtsein?
Mit einem Festakt in Berlins Komischer Oper (Foto oben), der zeitweise von ebenso lautstarken wie inhaltslosen "Protesten" der linken Chaotenszene begleitet wurde, eröffnete der Bund der Vertriebenen (BdV) den "Tag der Heimat 2002". Erika Steinbach begrüßte als Gastgeberin die Teilnehmer, an der Spitze Bundesinnenminister Otto Schily, mit einer thematisch breitangelegten Grundsatzrede; es folgten eine Ansprache von Prof. Guido Knopp (li., mit Fr. Steinbach) und eine Festrede von Joachim Gauck (re. |
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