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Günter Nooke (CDU/CSU): Zu den konstitutiven Elementen des wiedervereinten Deutschlands gehört das Gedenken an die Opfer der beiden totalitären Diktaturen des 20. Jahrhunderts: Nationalsozialismus und Kommunismus. Beide sind Bestandteile der deutschen Geschichte.
Die nationale Bedeutung der NS-Gedenkstätten für die Erinnerungskultur ist unstrittig. Wenn es um die angemessene und langfristig abgesicherte Finanzierung geht, ist die aktuelle Lage auch für diese Gedenkstätten schon nicht mehr ganz so klar. Die Arbeit dieser Einrichtungen ist nicht nur über Projektförderungen zu unterstützen, sondern sie sollte über eine institutionelle Förderung langfristig abgesichert werden.
Das Gedenken an die SED-Diktatur ist dagegen im öffentlichen Bewußtsein ungenügend verankert und in den Gedenkstätten unzureichend umgesetzt. Das ist der Grund für unseren Antrag.
In unserem Antrag fordern wir ein Gesamtkonzept für ein würdiges Gedenken aller Opfer der beiden deutschen Diktaturen. Die damit verbundenen inhaltlichen, administrativen und finanziellen Fragen sind zwischen Bund und Ländern zu klären. Daß hier Handlungsbedarf besteht, weiß jeder, der die Szene etwas kennt. Es kann nicht sein, daß die zuständige Staatsministerin, Frau Weiß, einfach verkündet, sie wolle die "Topographie des Terrors" in Bundeskompetenz übernehmen. Nicht im geringsten wird bedacht, daß es nicht Aufgabe des Bundes sein kann, nur in Berlin und nur Einrichtungen, die sich auf die NS-Zeit beziehen, zu 100 Prozent zu fördern.
Was Rot-Grün und insbesondere die Staatsministerin machen, ist aus meiner Sicht konzeptlos. Es wirkt wie Geschichtspolitik im Zugriffsverfahren nach Gutsherrenart, mehr oder weniger gesteuert durch ideologische Vorbehalte beziehungsweise Vorlieben, als Unterstützung eines Berliner Senats, der völlig unfähig ist, auch nur einen einzigen Bau allein und zu den vorgesehenen Kosten fertig zu stellen ... Was können wir in der Erinnerungs- und Gedenkkultur in Deutschland, in der Aufgabenverteilung zwischen Bund und Ländern, bei der Mitwirkung von Wissenschaft und Universitäten sowie bei der Einbeziehung von Opfergruppen und auch bei der finanziellen Verantwortung des Staates besser machen? Diese inhaltliche Diskussion ist doch überfällig, Frau Staatsministerin; denn es ist durchaus sinnvoll, 15 Jahre nach der friedlichen Revolution eine Zwischenbilanz zu ziehen und nach den unterschiedlichen Erfahrungen bei der Umsetzung der Ergebnisse der Enquete-Kommissionen zur SED-Diktatur zu fragen. Es ist dabei unvermeidbar, über beide, die NS- und die SED-Diktatur im vergangenen Jahrhundert, zu sprechen, und zwar nicht nur wegen Ihrer eigenen Konzeption, die es schon gibt und an die Sie sich nicht halten, sondern auch wegen der gegenseitigen Bezüge und deshalb, weil es Orte gibt, die an Gewaltverbrechen der beiden Diktaturen erinnern. Noch einmal: Wer von beiden deutschen Diktaturen spricht, der meint damit nicht, daß sie gleichgesetzt werden. Die Unterschiede herauszuarbeiten und zu begründen ist Teil des Konzeptes.
Dr. Christina Weiss, Staatsministerin beim Bundeskanzler: Die Verfasser wollen einen Paradigmenwechsel in der Geschichtsbetrachtung und konsequenterweise auch in der Geschichtspolitik. Zum einen bedeutet dies eine - sei es auch nur eine zu beargwöhnende - Gleichsetzung der Opfer des Nationalsozialismus, der Opfer des SED-Regimes und der deutschen Zivilopfer, die Bombenkrieg und Vertreibung zu erleiden hatten ... Ich will noch einmal sagen: Auch die zu beargwöhnende Gleichsetzung verschiedener Opfergruppen ist eine Relativierung und alles, was nach Relativierung aussieht, nach Relativierung der nationalsozilistischen Verbrechen an den europäischen Juden, kann dem Ansehen Deutschlands im Ausland nur schaden ...
Claudia Roth (Augsburg), Bündnis 90/Die Grünen: Der vorliegende Antrag kündigt natürlich den Konsens der Enquete-Kommission zur Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozeß der deutschen Einheit und das Gedenkstättenkonzept der Bundesregierung von 1999 auf.
In Ihrem Antrag, Herr Nooke, setzen Sie in der Tat auf eine pauschalierende Gleichsetzung von DDR-Unrecht und Nationalsozialismus. Der Antrag spricht von doppelter Vergangenheit. Wer von doppelter Vergangenheit redet, der setzt damit die Identität von scheinbar Gleichem voraus, Herr Nooke. Durch Unterlassen, durch Pauschalieren und durch Vereinfachen signalisiert die Union eine Gleichrangigkeit zweier Systeme, wo keine Gleichrangigkeit ist und wo sie auch nicht herbeigeredet werden darf ... Diese Gleichsetzung ist angesichts der Einzigartigkeit des Holocaust inakzeptabel. Wenn Sie nicht wollen, daß man Ihren Antrag so interpretiert, dann ziehen Sie diesen Antrag bitte zurück; denn genau so ist er zu interpretieren.
Wer nicht unterscheidet, wer nicht differenziert, wer Geschichte als Gleichmacherei betreibt, der macht sich schuldig an der Relativierung des Nationalsozialismus und somit schuldig an der Bagatellisierung des größten Verbrechens der Menschheitsgeschichte ...
Sie, Herr Nooke, oder Teile der Union behaupten, die Erinnerung an das DDR-Unrecht werde vernachlässigt, weil das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus überproportioniert gefördert werde. Unter dem Oberbegriff des Opfergedenkens, Herr Nooke, üben Sie den Schulterschluß mit dem Ewiggestrigen ...
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