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Die traditionelle kirchliche Lehre über den Begriff eines gerechten Krieges ist emotionslos rational, aber nicht ohne Verständnis für die Menschen. Im Gegenteil. Das bewundernswerte Engagement von Johannes Paul II. gegen einen Krieg ist nur zu begreifen, wenn man sein Verständnis und Mitfühlen mit der irakischen Bevölkerung berücksichtigt. Er verläßt den Boden der traditionellen Lehre nicht, er entwickelt sie sogar weiter im Sinne von Johannes XXIII ., der in seiner Enzyklika "Pacem in terris" 1963 stark die Verhandlungen an Stelle von Gewalteinsatz hervorhob (Nr. 126-129). Die Bedrohung durch nukleare Waffen - die Kubakrise war gerade vorbei - bewog den Papst damals zu erklären: "Es verstößt gegen die Vernunft, zu behaupten, daß Krieg in unserer Zeit ein geeigneter Weg sei, Rechte wieder herzustellen, die verletzt worden sind."
Inzwischen sind nicht nur die Bedrohungen eines nuklearen Holocaust im Bewußtsein der Menschen verankert, auch die Gefahren anderer Massenvernichtungswaffen - biologische, bakteriologische, chemische - machen der Menschheit bewußt, daß sie sich ein Versagen nicht leisten kann. Daher die Dringlichkeit, mit der Johannes Paul II. vor einem Krieg warnt, der solche Kräfte entfesseln könnte. Schon das Dokument des Zweiten Vatikanischen Konzils über die Botschaft und Bedingungen der Kirche in der Welt, "Gaudium et Spes" hebt unter Nr. 78-80 die selbstzerstörerische Natur des modernen Krieges hervor. Es warnt auch vor der Verwendung des Terrorismus als einer neuen Methode, Konflikte auszutragen. Während es zu friedlichen Verhandlungen bei Konflikten ermutigt, schließt das Zweite Vatikanische Konzil dennoch nicht die Anwendung von Waffengewalt aus: "Solange die Gefahr eines Krieges fortbesteht und es keine internationale Autorität mit der notwendigen Kompetenz und Macht gibt, kann Regierungen das Recht auf sittlich erlaubte Verteidigung nicht verweigert werden, wenn alle Möglichkeiten einer friedlichen Regelung erschöpft sind." Das Konzil macht sich die Verurteilung des totalen Krieges, wie sie schon von den letzten Päpsten ausgesprochen wurde, zu eigen und erklärt: "Jede Kriegshandlung, die auf die Vernichtung ganzer Städte oder weiter Gebiete und ihrer Bevölkerung unterschiedslos abstellt, ist ein Verbrechen gegen Gott und gegen den Menschen."
Bei der Zusammenfassung der Lehre der Kirche zur Anwendung von Gewalt stellt der Katechismus unter Nr. 2309 fest, daß die gewaltige Zerstörungskraft moderner Waffen besonders in Betracht gezogen werden muß, wenn es um die Entscheidung geht, ob die Verwendung von Gewalt mehr Unheil und Unordnung erzeugt als das zu beseitigende Böse. Er verurteilt ebenfalls die unterschiedslose Anwendung von Gewalt und hebt die Gültigkeit des Sittengesetzes während eines Konfliktes hervor. Aber der Kate-chismus sagt auch von denen, die in den Streitkräften dienen: "Wenn sie ihre Aufgabe richtig erfüllen, tragen sie zum Gemeinwohl der Nation und zur Erhaltung des Friedens bei" (Nr. 2310).
Immer geht es um die Abwägung: Wann ist Krieg wirklich das letzte Mittel? Und wenn schon Waffengewalt angewandt wird, dann gilt nach wie vor die Lehre von der Eindämmung oder von der begrenzten Anwendung der Gewalt. Schon die klassische Kriegsrechtslehre der Kirche kennt zwei klar unterscheidbare Bereiche: das "ius ad bellum" (das Recht, Krieg zu führen) und das "ius in bello", die Prinzipien, nach denen sich die Anwendung von Gewalt richten muß (Kriegsrecht, in einem Krieg erlaubte Handlungen). Vor allem beim ius in bello können die Europäer aufgrund der Erfahrungen des letzten Jahrhunderts durchaus besorgt sein. Der totale Krieg ist keine Utopie. Auch mit Blick auf die Mentalität der Amerikaner darf man Bedenken hegen. Ihre Art, Krieg zu führen, ist massiv. Das hat Vietnam gezeigt, das sah man auch im ersten Golfkrieg gegen den Irak, das sah man auch auf dem Balkan. Hinter dem Einsatz massiver Mittel, vor allem Bomben und Raketen, steht die Sorge amerikanischer Präsidenten, die eigenen Verluste möglichst niedrig zu halten.
Der Krieg ist das letzte Mittel - wofür? Zur Wiederherstellung des Rechts und der Gerechtigkeit. In der Tat stellte Johannes Paul II. in zahlreichen Botschaften zum Weltfriedenstag fest, etwa 1982, "Christen, wie sehr sie auch danach streben, gegen jede Form von Krieg Widerstand zu leisten und sie zu verhindern, keine Bedenken haben, daran zu erinnern, daß um des elementaren Grundrechts auf Gerechtigkeit willen die Völker ein Recht und sogar eine Pflicht haben, ihre Existenz und ihre Freiheit mit angemessenen Mitteln gegen einen ungerechten Angreifer zu schützen". Das dürfte auch für den Krieg gegen den Terrorismus gelten, wenn dessen Angriffe so massiv sind wie am 11. September oder wenn er mit Massenvernichtungsmitteln droht. Deshalb empfindet sich die Bush-Regierung auch "im Krieg". Es ist eine akademische Frage, ob dies wirklich Krieg sei oder nur Verbrechen. Die klassische Kriegsdefinition der Friedensforschung geht jedenfalls von Krieg aus, wenn ein organisierter Gewalteinsatz mehr als tausend Tote fordert. Dann sei es sinnvoll, von einem "gewaltsamen Massenkonflikt" zu sprechen. Akademisch ist die Frage auch deshalb, weil die amerikanische Regierung ihre Antwort bereits gegeben hat und handelt - durchaus in dem Bewußtsein, auf der Seite des Rechts zu sein.
Die Kirche hat sich über terroristische Handlungen auch Gedanken gemacht. Die Glaubenskongregation erklärte schon 1986 in einer "Instruktion über christliche Freiheit und Befreiung", und zwar in der dortigen Nummer 79: "Niemals dürfen Verbrechen wie Vergeltungsmaßnahmen gegen die gesamte Bevölkerung, Folter oder terroristische Methoden - ob sie durch eine etablierte Staatsmacht oder durch Rebellen begangen werden - gutgeheißen werden." Und in seiner Generalaudienz am 12. September 2001, einen Tag nach den "Angriffen auf die Vereinigten Staaten" oder - je nach Interpretationsneigung - den "Anschlägen auf das World Trade Center", erklärte Johannes Paul II.: "Angesichts solchen unsagbaren Grauens können wir nur zutiefst beunruhigt sein. Ich füge meine Stimme allen Stimmen hinzu, die sich in diesen Stunden erheben, um empörte Verurteilung auszudrücken, und ich wiederhole mit Nachdruck, daß die Wege der Gewalt niemals zu echten Lösungen der Probleme der Menschheit führen werden." Aber er ermahnte ein Jahr später die Vereinigten Staaten auch, im Strudel der terroristischen Angriffe "der Versuchung von Haß und Gewalt nicht nachzugeben", und rief "das geliebte amerikanische Volk" auf, mit "Gerechtigkeit" zu reagieren.
Die vom Terrorismus ausgehende Bedrohung mit "Gerechtigkeit" zu bekämpfen, ist keine leichte Aufgabe. Terroristen zu identifizieren und unschädlich zu machen ist etwas anderes als eine konventionelle Kampfmaßnahme. Darin liegt die neue Herausforderung für das Völkerrecht und die internationale Staatengemeinschaft. |
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