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Bruch mit einer Utopie

 
     
 
Er gehörte einst zu den zentralen Figuren der 68er-Revolte. Bernd Rabehl, 60 Jahre alt, Soziologieprofessor an der Freien Universität Berlin, war – neben Hans-Jürgen Krahl – der Cheftheoretiker des Sozialistischen deutschen Studentenbundes (SDS). Der charismatische Führer der SDS, Rudi Dutschke
, ließ sich von Rabehl, der selbst nie ein großer Redner war, immer wieder ideologisch beraten. 1968, das ist fast ein Dritteljahrhundert her: Dutschke ist tot, auch Krahl lebt nicht mehr: Der Befürworter einer radikalen Politik der Außerparlamentarischen Opposition (Apo) verunglückte 1970 bei einem Verkehrsunfall tödlich.

Bleibt Bernd Rabehl. Aber von dem will seine einstige Anhängerschaft nichts mehr wissen: Rabehl, der in der DDR aufgewachsen und 1960 in den Westen geflohen war und deshalb immer ein Gegner des Sowjetismus und Marxismus blieb, gilt ihnen als Verräter an früheren Ideen und als Sympathisant rechter Positionen. Ende 1998 hatte Rabehl bei der Münchner Burschenschaft "Danubia" eine Rede gehalten, in der er vor den "Asylanten- und Flüchtlingsströmen" warnte, die nach Deutschland drängen: Nicht primär, sie bedrohten aber nicht nur "den ethischen und moralischen Zusammenhalt der zentraleuropäischen Völker, sondern der Import der Partisanenformationen der internationalen Bürgerkriege und Kriegsschauplätze geschieht durch den Zuzug hochorganisierter und gleichzeitig religiös oder politisch fundamentalistisch ausgerichteter Volksgruppen, die keinerlei Interesse haben, sich in den Gastländern zu integrieren oder sich ruhig zu verhalten." Nicht genug mit dieser Warnung, erinnerte Rabehl seine Zuhörer außerdem daran, daß Dutschke, der sich immer als "Nationalrevolutionär" gesehen und gegen die deutsche Teilung gekämpft hätte. Die Rede wurde in der konservativen, nach Antifa-Lesart aber "rechtsradikalen" Berliner Wochenzeitung "Junge Freiheit" dokumentiert, laut Rabehl ohne sein Wissen.

Danach begann im linken Lager eine unglaubliche Debatte: Zunächst bestätigte Martin Jander, Mitarbeiter im Forschungsverbund SED-Staat an der FU Berlin, in der linken Tageszeitung "taz", daß Dutschke und Rabehl einst die lateinamerikanische Idee des Befreiungsnationalismus auf Deutschland übertragen wollten – mit anderen Worten: Rabehl hat Dutschkes damalige Positionen richtig dargestellt. Und dennoch bedauert Jander, daß Rabehl diese Wahrheit nicht verschwiegen hat: "Schöner wäre es gewesen, der für seine Polemik bekannte Professor für Soziologie hätte sich mit mir angeschrien und danach die Rede öffentlich zu einem mißglückten Scherz erklärt. Einen Scherz, den er sich zu seinem 60. Geburtstag habe leisten wollen, um die Sensibilität einer aufgeklärten und liberalen Linken zu testen." Jander aber ist weit entfernt von einer derartigen Liberalität wie auch der Großteil seines Milieus: Rabehl habe die Geschichte der 68er-Bewegung "verfälschen" und "stehlen" wollen. Dutschke-Witwe Grete stellte auch ins Internet die Versicherung, Dutschke sei keinesfalls ein Nationaler gewesen: "Eine nationale Frage stellte sich für uns nicht, sei es, daß wir meinten, der Begriff der Nation lenke von der sozialen Frage nur ab, sei es, daß wir die Teilung Deutschlands als Ergebnis eines von Deutschland ausgehenden verbrecherischen Krieges akzeptierten."

Rabehls Veranstaltungen an der Freien Universität werden inzwischen gestört. Auf dem Campus zirkulieren Flugblätter der Antifa, in denen – mit steckbriefartigem Foto des inzwischen ergrauten Ex-Revoluzzers – über die vermeintliche "Rechte Propaganda am OSI" (Ostinstitut der FU) berichtet wird: "Rabehl", heißt es dort, "terrorisiert seine Rezipienten und Rezipientinnen mit Bedrohungsszenarien und Verschwörungstheorien, die den Boden der Wissenschaftlichkeit verlassen und das zu tolerierende Maß der politischen Meinungsäußerungen in Lehrveranstaltungen gesprengt hat."

Schließlich sollte an seinem Lehrstuhl sogar eine Art öffentliches Tribunal stattfinden. Doch der vorgesehene Moderator, Professor Hajo Funke, ein Vertreter ultralinker Antifapositionen, sagte seine Mitwirkung im letzten Moment ab. Die Debatte wird weitergehen. Rabehl ist bislang nicht zu Kreuze gekrochen. Im Interview mit der Tageszeitung "Die Welt" räumte er unlängst gar ein, daß die 68er-Revolte insgesamt eine Lebenslüge gewesen sei und auch zu Erscheinungen wie der Roten Armee-Fraktion (RAF) und dem Linksterrorismus geführt habe. Auch von seiner Interpretation, Dutschke und er hätten immer auch nationalrevolutionär gehandelt, wich er nicht ab.

Wer in den damaligen Schriften der beiden liest, vor allem aber in Artikeln von Dutschke aus den 70er Jahren, wird dafür etliche Belege finden. Allerdings gilt auch: Für beide stand die Wiedervereinigung nie im Zentrum ihrer linken Anschauung. Insbesondere von Rabehl gibt es Texte, in denen er der Berliner Mauer durchaus auch positive Wirkungen beimißt: Sie habe "die Grenzen der antikommunistischen Ideologie in der Bundesrepublik" gezeigt. Und die deutsche Einheit, die Dutschke und Rabehl erhofften, sollte keine Einheit unter demokratischem Vorzeichen sein, sondern unter einem linken, sozialistischen, völlig unausgereiften Vorzeichen stattfinden.

Jedenfalls unterschied sie dieser Ansatz von der großen Mehrzahl der 68er-Gefolgsleute, von denen nicht wenige sogar in einem System wie dem der stalinistischen DDR das "bessere Deutschland" sahen und die an der Teilung festhalten wollten. Rabehl hat sich inzwischen auch von anderen Illusionen der alten wie der neuen Linken gelöst – und das nehmen ihm die Weggefährten von einst ausgesprochen übel.

 
     
     
 
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