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Der Irak erhält am 30. Juni die volle Souveränität. Dies ist der erste und wichtigste Bestandteil des neuen, aber in der Zielsetzung unveränderten US-Fünf-Punkte-Plans zur Irak-Politik der Bush-Regierung. Der US-Präsident stellte am 24. Mai in demonstrativ kämpferischer Weise in der Heeresschule in Carlisle (Pennsylvania) der Öffentlichkeit seine Vision für einen demokratischen Irak vor, unterstrich bisherige Leistungen und mahnte, die härteste Zeit stehe noch bevor. Begleitet wird der Vorstoß des Präsidenten, in der Wahlphase das Heft des Handelns wiederzuerlangen, von einem Resolutionsentwurf für den UN-Sicherheitsrat , der am 23. Mai überraschend von den USA und Großbritannien für den folgenden Tag angekündigt wurde.
Die fünf Punkte des Präsidenten werden begleitet von der Ankündigung, das Foltergefängnis Abu Ghraib abzureißen. Auch General Sanchez wird im Sommer als Ober- befehlshaber im Irak abberufen. Die irakische Übergangsregierung, deren Amtsantritt schon seit längerem für Ende Juni geplant war, bekommt vom ersten Tag ihrer Arbeit an die volle Verantwortung und womöglich auch die politische Entscheidungsfähigkeit für ihr Handeln zugebilligt. Die über 130.000 US-Soldaten bleiben jedoch, ohne daß ein Datum für einen Abzug in Aussicht gestellt würde, vor Ort. Die rechtliche Immunität für die vor Ort tätigen Personen aus den USA bleibt bestehen. Der Präsident verband seine Irak-Rede erneut mit dem Kampf gegen den Terror, drückte sein Bedauern aus über die Mißhandlungen von Irakern durch
US-Militär, dankte aber auch ausdrücklich der Nato und betonte in fast grotesker Weise die enge Abstimmung amerikanischen Handelns mit den Vereinten Nationen. Als weitere Punkte nannte Bush steigernd "Stabilität", "Wiederaufbau", "internationale Unterstützung beim Übergang zur Demokratie" und "freie Wahlen, nicht später als nächsten Januar".
Die Rede bringt also zusammen mit der von den USA erstrebten Resolution den lang erwarteten Schwenk zur Einigung der Irakkriegskoalition mit den Vereinten Nationen, die bei der Konsolidierung eines unabhängigen Irak helfen sollen - eine erhebliche Aufwertung der von Amerika totgesagten Organisation. Der Sicherheitsrat kam im Gegenzug der US-Regierung entgegen und verlegte eigens eine geplante Debatte um die Immunität von US-Soldaten vor dem UN-Strafgerichtshof, einem für die USA zur Zeit höchst brisanten Thema. Überschattet wird die Resolution nämlich nicht nur durch tägliche Attentate auf Amerikaner und private "Sicherheitskräften", sondern auch durch die immer weitergehenden Mißhandlungsvorwürfe gegen amerikanische Besatzungstruppen.
Zeitgleich mit der Vorlage der Resolution in New York lieferten sich Amerikaner und Schiiten in Bagdad und Kufa blutige Kämpfe. Das Weiße Haus ist, das mögliche Scheitern der Irak-Mission vor Augen, verzweifelt bemüht, einen geordneten Weg zur Selbstverwaltung zu demonstrieren. In regelmäßigem Turnus werden irakische Vertreter in Washington vom Präsidenten der amerikanischen Öffentlichkeit vorgestellt, um Normalität zu zeigen. Vor der Uno erfolgte jetzt das Eingeständnis: Allein geht es nicht - die Regierung der USA braucht die Vereinten Nationen offenbar mehr, als ihr lieb ist. Gesagt wird das freilich nicht - die neue Resolution kommt im Gewand der lang geplanten Eigeninitiative daher.
Derweil werden ständig neue, für eine Demokratie verstörend wirkende Vorwürfe und Berichte zum Ausmaß amerikanischer Mißhandlungen bekannt. Folgt bald das Eingeständnis, keine eigene amerikanische Perspektive für eine Demokratisierung des Irak zu haben? Deutschland und Frankreich drängen auf eine Frist für das Ende der Besatzung, die will Washington (noch) nicht nennen. Wohl auch nicht, um den Feinden eines demokratischen Irak, so gering seine Aussichten jetzt scheinen mögen, nicht noch einen Termin und sich selbst unter Zugzwang zu setzen. Denn statt eines ehrenwerten Abzugs unter Verweis auf die erreichten Ziele wäre nach der moralischen auch noch eine militärische Niederlage die Folge. Das Überraschungsmoment bleibt somit das Wichtigste, das den USA bleibt, um das Gesicht zu wahren. Eine neue Initiative könnte der Vorstoß vielleicht doch sein, oder die Flucht nach vorn, auf keinen Fall soll sie Signal einer absehbaren Ausdünnung der Truppe sein.
Mit seiner Rede versuchte Bush die Initiative zurückzuerlangen - einen fundamentalen Kurswechsel bedeutet sie nicht. Die Furcht, der Irak könne am Ende der US-Besatzung im Chaos versinken, ist durchaus berechtigt. Das könnte freilich auch die noch schadenfrohen Europäer teuer zu stehen kommen.
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