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Nachdem letzte Woche vor der UN-Generalversammlung der große verbale Schlagabtausch zwischen Irans Staatspräsident Mahmud Ahmadinedjad und US-Präsident George W. Bush weitgehend ausgeblieben ist, darf gemutmaßt werden, ob die Regierung Bush nun, wie angedeutet, gegenüber dem Iran auf eine "diplomatische Lösung" setzen oder am Ende doch noch die militärische Karte spielen wird. Die Berichterstattung der US-Medien in dieser Frage ist sichtlich uneins. So berichtete Dave Lindorff auf den Online-Seiten des US-Wochenmagazins "The Nation" am vergangenen Donnerstag unter der Überschrift "Kriegssignale?", daß das Pressebüro der Abteilung der US-Marine im Pentagon bestätigt habe, daß eine "machtvolle Armada" ("strike group") von Kriegsschiffen, in deren Mittelpunkt der mit Atomwaffen bestückte Flugzeugträger "USS Enterprise" stehen soll, um den 21. Oktober des Jahres angeblich die Küsten des Irans erreichen werde. Andere US-Medien sind der Meinung, daß die Regierung Bush eher auf eine "diplomatische Lösung" mit dem Iran setze, und glauben, einen "neuen Realismus" in der US-Außenpolitik identifizieren zu können. Letztere Stimmen verweisen auf die Worte Bushs vor der UN-Vollversammlung letzte Woche, in der sich der US-Präsident versöhnlich zeigte und entsprechende Andeutungen machte. Unter anderem sagte Bush, daß er sich auf den Tag freue, "an dem die USA und der Iran gute Freunde sein können". Inwieweit dies alles bloße Rhetorik ist, wird sich zeigen, wenn das neue Ultimatum der fünf Vetomächte sowie Deutschlands an den Iran in der ersten Oktoberwoche abgelaufen ist. Der Iran ist aufgefordert, bis dahin im Hinblick auf sein umstrittenes Atomprogramm "Ergebnisse vorzuweisen". US-Außenministerin Condoleezza Rice traf sich bereits mit Regierungsvertretern verbündeter Staaten, um für Sanktionen gegen den Iran zu werben.
Bushs iranischer Gegenspieler Ahmadinedjad versucht diese Zeit offensichtlich für eine "Charme-Offensive" (so der New Yorker "Spiegel"-Korrespondent Marc Pitzke) zu nutzen und Sympathien zu gewinnen. So ließ er zum Beispiel damit aufhorchen, daß er positiv auf die Erläuterungen des Papstes zu dessen Regensburger Rede reagierte, die von Islamisten zur Provokation des Islams hochgeredet wurde. "Wir respektieren den Papst, wir respektieren alle, die sich für Frieden und Gerechtigkeit einsetzen", erklärte Ahmadinedjad und fügte hinzu, daß die Rede des Papstes "unzutreffend" wiedergegeben worden sei.
Ähnlich moderat im Ton gab sich der iranische Staatspräsident bei seinem Auftritt vor der UN-Generalversammlung; in der Sache allerdings blieb er unversöhnlich. Hier bekräftigte Ahmadinedjad erneut, daß das Atomprogramm des Irans legitim sei und angeblich "transparent, friedlich und unter den wachsamen Augen der IAEO" ("Internationale Atomenergieorganisation") ins Werk gesetzt werde. Hauptangriffspunkt seiner Rede waren allerdings der Aufbau der Uno beziehungsweise des UN-Sicherheitsrats, der nach Ahmadinedjad offensichtlich nur dazu da sei, "die Rechte der Großmächte zu garantieren". "Die vorherrschende Ordnung der internationalen Beziehungen gestaltet sich so", erklärte er weiter, "daß sich einige Mächte selbst mit der ‚internationalen Gemeinschaft gleichsetzen und davon ausgehen, daß ihre Entscheidungen diejenigen von über 180 Ländern außer Kraft setzen." Geschickt knüpfte der iranische Staatspräsident an die laufende Diskussion um die UN-Reform an, als er unter anderem die Aufnahme eines islamischen Staates in den UN-Sicherheitsrat forderte.
In Stil und Ton unterschied sich Ahmadinedjad deutlich von Venezuelas Staatspräsidenten Hugo Chávez, der einen Tag nach ihm Bush als "Teufel" beziehungsweise "Sprachrohr des Imperialismus" bezeichnete und verkündete, daß "ein Psychiater nicht genug" wäre, "um die gestrige Rede des Präsidenten der Vereinigten Staaten zu analysieren". Am Sonntag vor ihren Reden vor der UN-Generalversammlung hatten sich die so ungleichen Politiker Ahmadinedjad und Chávez als Verbündete gegen die USA vorgestellt. Der Grund des Besuchs des iranischen Staatspräsidenten stand in diesem Zusammenhang: Er will die Bestrebungen Venezuelas nach einem Sitz im UN-Sicherheitsrat unterstützen. Chávez hat erklärt, daß er diesen Sitz nutzen wolle, um sich im Atomstreit gegen die von den USA geforderten Sanktionen zu stellen. Der Iran und Venezuela würden zusammenstehen, so Chávez mit seiner bekannt "antiimperialistischen" Phraseologie, "um Frieden und Gerechtigkeit" zu erhalten.
Offensichtlich ist, daß Ahmadinedjad einen Kurswechsel in der iranischen Außenpolitik zu bewirken versucht. Das Thema Holocaust hat er in den letzten Wochen nicht mehr angesprochen; es waren nicht zuletzt seine relativierenden Äußerungen hierzu, die den Iran mehr und mehr in eine Isolierung trieben. Nach Meinung von Tony Judt, Professor für Europäische Geschichte in New York, geschah dies zunächst ganz bewußt, um unter anderem die iranische Opposition zum Schweigen zu bringen. Gegenüber der Tageszeitung "Die Welt" erklärte Judt: "So sehr die liberalen, gebildeten jungen Frauen im Iran sich wünschen, daß diese Typen (Islamisten, d. V.) in die Moscheen zurückgetrieben werden, sie können sich nicht gegen ihr Land stellen, indem sie für die Amerikaner oder die Israelis sind." Jede Verfemung durch den Westen stärke nur die Radikalen im Iran.
Auf dieser Linie scheint Ahmadinedjad nun weiter operieren zu wollen, um die internationale Isolierung des Irans aufzusprengen. Nach dem altbekannten Motto "Der Feind meines Feindes ist mein Freund" versucht sich Ahmadinedjad als "Friedensanwalt" zum Wortführer derjenigen Staaten aufzuschwingen, die unter der Knechtschaft der selbstherrlichen Veto-Mächte des UN-Sicherheitsrates stünden. Eine Strategie, mit der er in New York durchaus punkten konnte, vor allem, weil er sich phasenweise wohl bewußt einer Rhetorik bediente, die "westlich" klingt. So erklärte er unter anderem: "Niemand ist mehr wert als andere. Kein Staat, keine Staaten dürfen sich Sonderprivilegien anmaßen. Niemand darf die Rechte anderer mißachten ... Über sechs Milliarden Erdbewohner sind alle gleich und verdienen gleichermaßen Achtung."
Die diplomatische Offensive des Irans kommt zu einem für die USA eher ungünstigen Zeitpunkt. Aufgrund der katastrophalen Lage im Irak und des mißglückten Feldzugs der Israelis im Libanon stehen sie, wie es William S. Buckler in einem Beitrag für die Schweizer Wochenzeitung "Zeit-Fragen" ausdrückte, "am Kreuzungspunkt einer strategischen Niederlage im Nahen Osten". US-Präsident Bush habe die "strategische Initiative" verloren. Mahmud Ahmadinedjad setzt jetzt an, um Bush auch auf diplomatischem Gebiet die "strategische Initiative" im Hinblick auf den Iran aus der Hand zu schlagen. Ob er damit erfolgreich ist, werden bereits die nächsten Wochen zeigen.
Gemeinsame Feinde einen: Venezuelas Präsident Chavez (r.) erklärt dem Iraner Ahmadinedjad sein Weltbild. |
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