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Das schlichte Liebesbekenntnis des neuen Bundespräsidenten zu seinem Land hat viel Lob und Anerkennung gefunden. Vor ein paar Jahren wäre es noch anders gewesen, und wieder Jahre zuvor wäre es kaum aufgefallen, denn Leute der ersten Stunde in dieser Republik, Schumacher, Adenauer, Carlo Schmid oder Heuss, sahen klare Zusammenhänge zwischen Nation und Europa, zwischen Vaterland und Zukunft. Adenauer etwa sagte: "Ohne Nationalgefühl kann ein Volk auch in der heutigen Welt einer europäischen Integration nicht bestehen." Heute dagegen scheint man den Zusammenhang zwischen Vaterland und Europa vor allem unter rein wirtschaftlichen oder politischen Gesichtspunkten zu begreifen, man wandert in Billiglohnländer ab und diskutiert die Erweiterung - selbst einen Beitritt der Türkei - vorwiegend als Marktfaktor oder als Sicherheitszuwachs. Kultur, Mentalität, Menschenbild - all das spielt für einen Großteil des politischen Establishments keine Rolle.
Für Horst Köhler sieht die Welt anders aus. Er hat sich einen natürlichen Blick auf Länder und Menschen bewahrt. Er sieht die Welt nicht als Scheibe einer Partei oder unter der Käseglocke einer Ideologie. Er schaut ins Universum des Menschlichen. Dort sieht er unsere Schwächen, aber auch unsere Rück-bindung - religio - in Gott. Das macht ihn sicher und seine Natürlichkeit aus. Das verleiht ihm jugendliche Frische. Deshalb wirkt es auch keineswegs aufgesetzt, wenn er eine wichtige Rede beendet mit "Gott segne dieses Land". Solch einen Satz in der deutschen Öffentlichkeit zu sagen erfordert Mut. Es gibt zu viele Hochhuths und Künasts, Schröders und Fischers, die lieber ihre Zunge verbrennen als solch einen Satz sagen würden. Man wird auch unter sogenannten C-Politikern lange suchen müssen, bis man jemanden findet, der die Traute zu diesem Segenswunsch hat.
Köhlers Mut, Probleme beim Namen zu nennen, ist vielversprechend. Zum Beispiel beim Thema Kinder und Familie. Sicher, wir hatten schon einmal einen Präsidenten, der bei Amtsantritt auf das schreiende Unrecht gegenüber Familien hinwies, eine Strukturreform verlangte und versprach: "Ich werde in dieser Frage keine Ruhe geben." Es folgte eine lange Ruhezeit. Dabei hatte Herzog doch sehr richtig bemerkt: "Nur wer in Arbeitsorganisation und Arbeitsablauf den Faktor Familie berücksichtigt, wird im Wettbewerb um qualifizierte Fachkräfte in Zukunft noch gute Karten haben." Wahrscheinlich hat er sich von Parteiführern einen unsichtbaren Maulkorb umhängen lassen. Der Faktor Familie wartet jedenfalls in Politik und Wirtschaft immer noch darauf, entsprechend den Maßgaben des Bundesverfassungsgerichts berücksichtigt zu werden.
Herzog hat in dieser Frage versagt. Die Familien, ihre Verbände und Vertreter sind skeptisch. Sie warten ab. Aber die Hoffnung ist berechtigt, daß Köhler die Problematik umfassender und tiefgründiger sieht. Er fragt nicht, was Kinder kosten, sondern: "Was sind uns Kinder wert." Er nennt im selben Atemzug "die Notwendigkeit, Bildung und Innovation zu stärken", Neugier und Kreativität zu fördern, Deutschland zu einem Land der Ideen und vor allem für Kinder zu machen. Hier werden die Konturen eines Menschenbildes sichtbar, das nicht nur an Leistung orientiert ist. Für Horst und Eva Köhler stand, wenn es darauf ankam, die Familie immer an erster Stelle, auch um den Verzicht einer Karriere. Sie standen Sohn und Tochter immer zur Seite, bei leidvollen Schicksalsschlägen wie bei ungewollten Weichenstellungen des Lebens. Sie haben Leid erfahren und ertragen. Das macht Köhlers Sätze glaubwürdig. Das gibt seinem Sinn für Menschlichkeit Tiefe.
Das Menschenbild der Köhlers - es ist schön, ein lebensstimmiges Paar als Repräsentant an der Spitze des Staates zu wissen - paßt nicht nur zum Werdegang des Ökonomen, es entspricht auch der wachsenden Nachfrage der Unternehmen. Im Begriff des Humanvermögens bündeln sich menschliche Daseinskompetenzen und wirtschaftliche Bedürfnisse von heute: lernen können (Stichwort Pisa); miteinander umgehen können, statt gegeneinander zu arbeiten; lösungsorientiert denken, statt zu jammern; andere mitziehen, statt sich (vom Sozialamt) ziehen zu lassen; Verantwortung übernehmen und Freiheit nutzen, statt ängstlich abzuwarten, was die da oben als Nächstes bieten. Köhler fordert in diesem Sinn eine neue Wagniskultur und einen Mentalitätswandel, mehr aktive Solidarität statt passiver Versorgungsansprüche, mehr Teilen und Gerechtigkeit statt Gewinnmaximierung auf Kosten der Armen, und das auch im globalen Maßstab. Das Menschenbild, das hinter diesem Denken steht, deckt sich mit dem Begriff des Humanvermögens. Das ist die Mangelware in Deutschland.
Mit Horst Köhler darf man also Hoffnung verbinden. Sicher, er hat keine (Partei-)Truppen, und seine Redemacht ist zeitlich begrenzt. Aber schon in der Schule haben wir gelernt: Die richtigen Fragen zu einem Problem zu stellen ist die halbe Lösung. Die andere Hälfte muß die Politik erbringen. Und hier können wir alle unseren Beitrag leisten.
Hoffnungsträger: Deutschland ist Horst Köhler wichtig.
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