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Wenn täglich neue Großpleiten und Wirtschaftverbrechen bekannt werden, fragen sich viele, wie es trotz aller Vorschriften und Kontrollen dazu kommen konnte. Zwar gehen nicht alle Pleiten auf Gaunereien zurück, und nicht jede Gaunerei führt zur Pleite, immer aber spielt in solchen Fällen die Buchhaltung (im weitesten Sinn des Wortes) eine Rolle. Es scheint daher angebracht, sich ein wenig mit den Schwächen des Systems zu befassen.
Buchhaltung hat als primäre Funktion die einer Gedächtnisstütze, denn der Wirtschafttreibende - der Betriebswirt im ökonomischen oder der Kaufmann im rechtlichen Sinne - nutzt die komprimierten Ergebnisse der Vergangenheit als Entscheidungshilfe für die Zukunft. Im Prinzip wäre also jeder Bilanz-Schwindel unsinnig, denn man würde sich nur selber belügen.
Das gilt zumindest dann, wenn der Entscheidungsträger zugleich Eigentümer des Unternehmens ist. Doch selbst hier liefert die Buchhaltung kein exaktes Abbild der Wirklichkeit: Das "Prinzip der kaufmännischen Vorsicht" verlangt nämlich, Verbindlichkeiten mit dem Maximalwert zu verbuchen, während Anlagen, Warenlager, Forderungen, Wertpa-
piere etc. allenfalls vom bisherigen Buchwert auf einen niedrigeren aktuellen Wert abzuschreiben sind.
Solch einseitige Wertänderungen reduzieren den ausgewiesenen Gewinn und analog dazu das Betriebsvermögen, welches dann "stille Reserven" enthält. Eigentlich wird aber der Gewinn nur in ein Folgejahr verschoben, denn wenn man Unterbewertetes veräußert, werden stille Reserven aufgelöst und erhöhen dann den Gewinn.
Sekundäre Funktionen der Buchhaltung ergeben sich, wenn Dritte mitspielen, also Miteigentümer, Kreditgeber oder der Fiskus. Und nur dann kann ein - legitim er oder betrügerischer - Anreiz entstehen, Gewinne bzw. Verluste scheinbar vorwegzunehmen oder aufzuschieben. Der Staat, für den fast überall die Besteuerung der Einkommen eine wichtige Einnahmequelle darstellt, schränkt daher die Unterbewertung ein, sonst könnte man Gewinne und Gewinnsteuern beliebig in die Zukunft verschieben - wenn dann schon eine andere Partei an der Macht ist.
Ein gegenläufiger Anreiz entsteht, wenn zusätzliches Kapital benötigt wird: Eine geschönte Bilanz kann die Bank zu besseren Kredit-Bedingungen verleiten oder, wenn Eigenkapital gesucht wird, einen Teilhaber ködern helfen. Ob der Schwindel sinnvoll ist, sei dahingestellt, denn irgendwann, spätestens bei Auflösung des Unternehmens, treten alle Unter- oder Überbewertungen wieder zu Tage.
Die wirklich großen Fische, die sich heute in den Medien finden, betreffen jedoch Aktiengesellschaften. Bei diesen sind die Rollen von Eigentümern (Aktionären) und von Verfügungsberechtigten (Vorstandsdirektoren) völlig getrennt. Großaktionäre können zwar über den Aufsichtsrat beträchtlichen Einfluß auf Auswahl und Tätigkeit des Vorstands haben und auf interne Informationen zugreifen. Kleinaktionäre hingegen bleiben weitgehend uninformiert und rechtlos. Natürlich gibt es ausgefeilte Rechnungsbelegungs- und Berichtspflichten, doch gegenüber internen Betrügereien ist der Außenstehende - ob Aktionär oder Kreditgeber - weitgehend machtlos.
Ein bedeutendes Recht bleibt dem Aktionär in jedem Fall: Er kann Aktien kaufen oder verkaufen. Zum Verkaufen braucht man allerdings Käufer, und die kaufen nur zu jenen Kurs, der sich aus den erwarteten Gewinnen errechnet und bei dem sie nicht schlechter dran wären als mit alternativen Geldanlagen. So kommt es, daß der Börsenwert eines Unternehmens (Aktienkurs mal Anzahl der Aktien) sowohl vom Substanzwert (mit oder ohne stille Reserven) als auch vom tatsächlichen Ertragswert stark abweichen kann.
Gewinnerwartungen und somit Börsenkurse lassen sich leicht über Quartalsberichte oder Indiskretionen manipulieren. Genau hier liegt der Hund begraben: Die Bezüge von Vorstandsmitgliedern sind großteils gewinnabhängig oder bestehen sogar aus Aktien. Umgekehrt werden dramatische Kurseinbrüche - sprich: Verlusterwartungen - häufig mit der Absetzung des Vorstands "geahndet". Was liegt daher näher, als "Erfolge" vorwegzunehmen und Verluste zu vertuschen? In Großkonzernen mit selbst für Eingeweihte oft kaum durchschaubaren Schachtelbeteiligungen (in Ländern mit unterschiedlichen Bilanzregeln und Terminen) sind der Kreativität keine Grenzen gesetzt.
Moralisieren hilft da wenig, wohl aber können durch Gesetze und Verträge die Rahmenbedingungen so verändert werden, daß sich die Versuchungen verringern: Kurzfristige Scheinerfolge dürfen sich einfach nicht lohnen. Vorstandsbezüge sollten vielmehr bloße Anzahlungen auf das sein, was zumindest mittelfristig ein Erfolg wird - bei der Endabrechnung kann der Betreffende längst anderswo tätig sein. Und ähnliche Regelungen sollte man sich ernsthaft auch für Politikerbezüge überlegen . |
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