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Nur wenige Bücher können von sich behaupten, daß sie die Welt ein kleines Stückchen verändert haben. "Die stumme Prinzessin - Ein Leben in Deutschland" ist eines von ihnen. 2002 nach dem Erscheinen des Buches war Hamburgs Politik in Aufregung. So etwas sollte es in der wohlhabenden Hansestadt geben?
Gabor Steingart, Redakteur beim "Spiegel", erhielt eines Tages einen anonymen Anruf, er solle in die Berzeliusstraße in Billbrook kommen. Was der Journalist da sah, war schlimmer als jedes Ghetto das er sich je hätte vorstellen können. In fünf baufällig e Hochhäuser gepfercht lebten dort Obdachlose, Ausländer, deutsche Asoziale und Horden von Kakerlaken. Abgerissene, rostige Briefkästen, überall Müll und dazwischen menschliche Elendsgestalten. Steingart war entsetzt. Mitten in diesem Abfall traf er auf ein kleines Mädchen. Die elfjährige Danijela Adzovic lebte dort mir ihrer Familie. Das neugierige Mädchen weckte die Neugier des Journalisten, zumal er dann auch noch feststellte, daß die Kleine taubstumm war, genau wie drei weitere ihrer zehn Geschwister.
Danijela und der Berzeliusstraße widmete er sein Buch "Die stumme Prinzessin - Ein Leben in Deutschland", in dem aus Sicht der kleinen Zigeunerin aus Montenegro das Leben und die Menschen in diesem düsteren deutschen Ghetto schildert. "Der viele Müll, der Geruch, die Käfer ... Unser merkwürdiger Nachbar war für solche Ermahnungen nicht mehr erreichbar. Vater hatte es doch auch schon probiert, und passiert war trotzdem nichts. Er wollte mit ihm über die Kakerlaki reden, die von seiner Wohnung in unsere krabbelten und auch schon versucht hatten, der kleinen Liza ins Ohr zu laufen."
Aber nicht nur von den Zuständen in Hamburg ist die Rede, sondern auch von den Erlebnissen der vielköpfigen Familie in ihrer Heimat, in der Ende der 90er Jahre Ausläufer des Jugoslawienkrieges zu spüren waren. Nicht nur daß der Krieg die Familie gefährdet, auch die Stimmung in der Bevölkerung, die ab sofort genau schaute, wer welcher ethnischen Abstammung war, wer Freund oder Feind war. Hierbei gehörte die Familie Adzovic als Roma nirgendwo zu. Brutale Übergriffe auf Zigeuner waren an der Tagesordnung, und so flüchtete die Familie und ließ sich von Menschenschmugglern nach Italien übersetzen. Von da an begann die menschenunwürdige Lagerzeit, die dann in Hamburg ihren öffentlichkeitswirksamen Höhepunkt erreichte.
Die Berzeliusstraße wurde nach dem Rummel um Gabor Steingarts Veröffentlichung dem Erdboden gleichgemacht, was jedoch aus der Familie Adzovic, deren Aufenthaltsgenehmigung 2003 unter dem ehemaligen Hamburger Innensenator Ronald Schill nicht verlängert wurde, wurde, steht selbst in der nun erschienenen Taschenbuchausgabe nicht.
"Die stumme Prinzessin - Ein Leben in Deutschland" ist auch heute noch, nachdem es die Berzeliusstraße nicht mehr gibt, noch lesenswert, da es zeigt, was Menschen auf der Suche nach einem friedlichem Leben erleiden müssen und was in Deutschland jenseits des schönen Scheins möglich ist. Da der Autor aus der Sicht Danijelas berichtet, ohne jemals vom Leser Mitleid einzufordern oder den Moralapostel zu spielen, strahlt die Geschichte trotz aller geschilderten Not und allen Elends etwas Erhabenes aus. Fritz Hegelmann
Gabor Steingart: "Die stumme Prinzessin - Ein Leben in Deutschland", Piper, München 2005, broschiert, 207 Seiten, 8,90 Euro |
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