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Lust an der Narrheit

 
     
 
Er hätte den Stein der Narren entdeckt, sagte Alfred Polgar einmal von ihm. Und Paul Fechter schrieb: "Er besaß die eingeborene Lust an der Narrheit auch der Sprache und hat sie mit und ohne Nachhilfe von Alkohol weidlich ausgekostet." Die Rede ist von Joachim Ringelnatz, dessen 70. Todestages am 17. November gedacht werden wird. Schon jetzt erinnert man sich hier und da dieses Dichters, von dem Fechter sagte, er habe nicht nur Gefühl besessen, sondern auch den Mut zum Gefühl. Im Hamburger Museum
für Kunst und Gewerbe ist noch bis zum 31. Oktober eine kleine Ausstellung mit Zeichnungen von Karl Arnold (1883-1953) zu sehen, die dieser als Illustration zu dem wohl bekanntesten Werk des Joachim Ringelnatz schuf: Kuttel Daddeldu. Die Balladen um den meist besoffenen Seemann erschienen erstmals 1920; eine erweiterte Auflage, in die noch andere lyrische und sozialkritische Gedichte des Autors aufgenommen wurden, kam 1923 heraus. Zu dieser hatte Arnold, dessen Nachlaß sich seit 2001 in dem Hamburger Museum befindet, die Illustrationen geschaffen. Es sind schlichte Zeichnungen, die durch den flotten Strich überzeugen und dem lebenslustigen Seebären ein Gesicht verschaffen, ein Gesicht, das übrigens immer wieder an die Physiognomie seiner Schöpfers Ringelnatz erinnert.

Die moritatenhaften Seemannslieder erzählen von wilden Seefahrten und ebenso wilden Landgängen, von den verschiedenen Bräuten des Matrosen und von seinen Kindern in aller Welt. Skandalös, erotisch, derb, spöttisch, melancholisch - all das waren die Verse von Joachim Ringelnatz, der seine Schöpfungen auch selbst, unterstrichen von seiner ausgeprägten pantomimischen Begabung, im ganzen Land vortrug. - Ringelnatz wußte, wovon er schrieb, war er doch zunächst als Schiffsjunge und dann als Matrose zur See gefahren, hatte bei der Kaiserlichen Marine gedient. Das Licht der Welt erblickte er 1883 in Wurzen bei Leipzig als Sohn des Schriftstellers Georg Bötticher und seiner aus Ostdeutschland stammenden Frau. (Ein köstliches Gedicht rühmt gar die Vorzüge der Königsberger Mädchen.) Bötticher gab unter anderem Auerbachs Deutschen Kinderkalender heraus, in dem Ringelnatz, der sich 1919 das Pseudonym nach dem seemännischen Namen des glücksbringenden Seepferdchens zulegte, erste Gedichte veröffentlichte. Nach seinen abenteuerlichen Reisen als Seemann erlebte Ringelnatz nicht minder abenteuerliche Zeiten als Kaufmann, als Hausmeister einer Pension, als Lehrling in einer Dachpappenfabrik, als Angestellter in einem Reisebüro, als Bibliothekar der Familie York Graf von Wartenburg in Schlesien und in Windischleuba bei Börries von Münchhausen, dem Vater des Dichters. Es waren aber diese abenteuerlichen Zeiten, die ihm den Blick öffneten für die Licht- und Schattenseiten des Lebens. Mit sicherem Gespür für die Nöte des kleinen Mannes und mit dem ihm eigenen Humor schilderte er, was er sah und erlebte.

Als Kabarettist im Münchner Künstlerlokal "Simplicissimus" und an der Kleinkunstbühne "Schall und Rauch" von Ernst von Wolzogen in Berlin fand er mit seinen skurrilen Versen ein aufgeschlossenes Publikum. Daß Ringelnatz jedoch auch ein begnadeter Erzähler war, wird oft vergessen. Meistererzählungen (170 Seiten, brosch., 7,90 Euro) sind jetzt bei Diogenes herausgekommen. Natürlich darf Kuttel Daddeldu hier nicht fehlen, diesmal allerdings in Prosa, aber nicht weniger amüsant, wenn er seinen Kindern vom Rotkäppchen - oder war es Schneewittchen, Dornröschen? - erzählt. "Mit ihm gelacht und mit ihm geweint habe ich nun schon seit manchem Jahrzehnt", bekannte der Schauspieler Otto Sander einmal seine Liebe zum Werk von Joachim Ringelnatz, "mit ihm gelangweilt habe ich mich noch nie." Wie wahr!

 
     
     
 
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