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Die naive Kunst stellt sich als eine Parallel-Erscheinung zur professionellen Kunst des 20. Jahrhunderts dar. Die Bilder der Ausstellung, die in Zusammenarbeit mit der Düsseldorfer Galerie Zimmer entstand und noch bis zum 30. Oktober im Zienterra Institut für Rhetorik und Kommunikation, Landhaus im Neuen Park, Wallrafstraße 20, 53332 Bornheim bei Bonn, zu sehen ist, entstanden vorwiegend in den 1960er / 70er Jahren (Besuche nach telefonischer Vereinbarung, Telefon
0 22 22 / 27 30). Das war auch die große Zeit der Rezeption der naiven Kunst in Deutschland. Mit wenigen Ausnahmen leben die Menschen, die diese Bilder malten, heute nicht mehr. Die hier vertretenen Künstler gehören zu den bekanntesten und bedeutendsten der naiven Kunst. Wir betrachten diese Bilder also schon aus zeitlicher Distanz. Dennoch haben sie nichts von ihrer Frische, ihrer Gegenwärtigkeit verloren. Als persönlicher Ausdruck geben sie Hinweise auf die Lebensinhalte und Weltvorstellung ihrer Schöpfer, wirken über ihre Zeit hinaus.
Diese Maler und Malerinnen haben sich ihre visuelle Erlebnisfähigkeit und damit ihre persönliche Sicht der Dinge und der Welt erhalten. Ihr Blick ist nicht verstellt durch den Einfluß fremder Bilder oder Schulung, auch nicht geformt durch professionelle s Kunstwollen. Vielmehr gelingt ihnen mit den jeweils eigenen Bilderfindungen die Aufzeichnung persönlich geprägter Bilder von der Welt, die uns aufgrund ihrer Eigenheiten der bildnerischen Darstellung als authentisch im Sinne einer Übereinstimmung von Bild und Person erscheinen.
Bei den Städtern Hector Trotin, der in Paris lebte, und Jean Faucq aus Brüssel schlägt sich das Lebensumfeld ebenso nieder wie bei Max Raffler, dem Bauern vom Ammersee. Minna Ennulat erinnert sich in ihren Bildern an ihre ostdeutsche Heimat, die sie 1945 verlassen mußte. Die Frauen aus Uzdin im ehemaligen Jugoslawien malen ihre Dorfgemeinschaft bei Tanz und Feiern, zu denen sie ihre festlich bestickten Trachten tragen. Bei Natalie Schmidtova sind die Bildinhalte durch den abstrahierenden Malstil so stark verfremdet, daß ihre Figürchen wie Chiffren durchs Bild tanzen. Sind die Bildinhalte bei vielen Naiven Geschehnisse ihres täglichen Lebens, so werden sie durch die Art der individuellen
Darstellung aus dem Alltäglichen herausgehoben und gewinnen die Faszination des Besonderen. Landschaften oder Stadtansichten, Blumen und Gärten, Mensch und Tier werden mit oft überraschenden Bilderfindungen und -lösungen in individuelle Bilder verwandelt.
Meistens entstehen die Bilder der Naiven in persönlicher Abgeschiedenheit. Dabei verspinnt sich Matija Skurjeni in Geschichte und Geschichten, die ihn aus dem Alltag wegführen und zum persönlichen Bilderlebnis werden. Bei Franjo Klopotan offenbart sich Traumhaftes und Phantastisches. Die Geschichten der Bibel nehmen in den Bildern Max Rafflers ebenso sichtbare Gestalt an, wie das Alte Testament bei Shalom von Afed Anlaß zum Malen ist und Nikifor sich in seinen kleinen Aquarellen und Buntstiftzeichnungen selbst in der Kirche als Bischof wiederfindet.
In den Bildern Ivan Rabuzins wird die intensive, vertiefende Beziehung des Malers zu seiner Umgebung erkennbar, aus der er seine sublime Landschaftsmalerei entwickelte. Fährt man durch die Landschaft Kroatiens, in der Ivan Rabuzin zu Hause ist, so erlebt man bald das Phänomen der Übertragbarkeit von Sehgewohnheiten - bald erkennt man in der Realität die sanften Hügel mit den Weiden aus den Bildern Ivan Rabuzins und könnte glauben, daß diese Landschaft nur so gesehen werden könne, wie er sie malt.
Ganz anders Josef Wittlich, dessen Blick nach außen, durchaus auf die Gegenwart, gerichtet ist, der die Welt durch die Bilder der anderen erlebt - über Abbildungen in Büchern und Versandhauskatalogen macht er sich sein eigenes Bild von kriegerischen Geschehnissen, von den Menschen und der Welt und spiegelt sie mit Biß in seiner Malerei. So gibt uns die Ausstellung Gelegenheit, mit den Augen der Naiven einen Blick auf die Welt zu werfen. Elke Zimmer
Persönlich geprägte Bilder der Welt: Minna Ennulat malte die Rheinschiffahrt mit Loreley (1973) und Max Raffler das Oktoberfest in München (um 1974; Ausschnitt) |
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