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Von allem etwas

 
     
 
Schwarz-braun ist die Haselnuß". Die drei Mädchen singen kraftvoll und voller Freude ins Mikrophon, und auch die anderen drei Jugendlichen an den Instrumenten sind vollkommen bei der Sache. Die drei Sängerinnen wiegen sich im Takt, ihre roten Röcke schwingen mit, und das Publikum wird von ihrer guten Laune mitgerissen. Die 2.000 Stühle in der Glashalle der Leipziger Neuen Messe sind bis auf den letzten Platz besetzt, und oben an der Empore stehen noch weitere Hunderte von Zuschauern. Viele klatschen und singen begeistert mit. Auch ich! Erschrocken schaue ich auf meine Hände und frage mich, was ich da tue.

Meine Euphorie über meine Einteilung zur Berichterstattung zum bunten Abend hatte sich nämlich in Grenzen gehalten. Ich hatte mich im Geiste schon alle fünf Minuten gelangweilt auf die Uhr schauend gesehen. Nun aber klatschte ich zu den Liedern der Kindergruppe aus Allenstein. Was war geschehen?

Als ich zehn Minuten vor Beginn der Veranstalt
ung die große Glashalle betrat, mußte ich überrascht feststellen, daß es keinen freien Sitzplatz mehr gab. Verwundert und maulig setzte ich mich auf den Fußboden im Gang.

Dann begann das offene Singen, und Professor Eike Funck mit seinem Chor und dem Leipziger Blechbläserquintett animierte das willige Publikum zum gemeinsamen Singen. Von der Bereitwilligkeit zum Mitsingen der Menschen um mich herum angesteckt, erwischte ich mich mehrmals beim Mitsingen. Danach trat die Allensteiner Kindergruppe auf, und die sprühende Lebensfreude dieser jungen Mädchen im Teenageralter riß das Publikum und mich mit. Es zeichnete sich ab, daß ich diesen bunten Abend genießen würde.

Der Edelweißchor der Wolfskinder hatte zwar ein gute Liederauswahl getroffen, doch betrüblicherweise versagte die Technik, und so verloren sich die Stimmen, die unter anderem "Ännchen von Tharau" sangen, ohne Verstärker und Mikrophon in der großen Glashalle der Leipziger Neuen Messe. Der wieder mit Unterstützung der Technik auftretende BernStein konnte sich der vollen Mitarbeit des Publikums gewiß sein. So bat er die Zuschauer bei der Nennung ihrer Heimatregionen in seinem Lied "Traumland" um Handzeichen, und ich verfolgte erstaunt, wie viele Hände bei Erwähnung von Regionen wie Kurische Nehrung, Ermland, Masuren, Königsberg in die Höhe schossen. BernStein verließ unter tosendem Applaus die Bühne und wurde von der Volkstanzgruppe Elch abgelöst, deren Leiter Unruh zu den auf der Bühne agierenden Storch, Bär und Pferd eine Geschichte erzählte. Aber kaum hatte man sich versehen, entledigten sich die drei ihres tierischen Äußeren und gliederten sich in die Reihe der Tanzenden ein. Die Mitglieder, übrigens alles Rußlanddeutsche, waren im Alter gemischt.

Nach dem gelungenen Auftritt der Gruppe Elch lenkte Hildegard Rauschenbach die Aufmerksamkeit des Publikums auf sich. Die bekannte Autorin, die als Zwangsarbeiterin nach Sibirien verschleppt worden war, erheiterte mit ihren amüsanten Geschichten in Mundart die ihr gebannt Lauschenden. Der darauffolgende zweite Teil des offenen Singens zeigte, daß die Bereitschaft der Zuschauenden zum Mitsingen gestiegen war. Die vorausgegangenen Beiträge hatten eine so gute Laune verbreitet, der man sich nicht entziehen konnte. Doch wurde dem singenden Publikum eine Pause zur Schonung der Stimme gewährt, und die Ermländische Tanzgruppe aus Hof übernahm die Regie auf der Bühne. Die liebevoll geschaffenen, schönen ermländischen Trachten zogen die Aufmerksamkeit schnell auf sich. Zu Beginn traten die Kinder, das jüngste Mitglied ist sechs Jahre, auf. Schon hier merkte man, daß Profis am Werk waren. Als danach die älteren Mitglieder zur Musik umeinander herumwirbelten, wurde schnell deutlich, daß die Choreographie wohlüberlegt war.

Die Opernsängerin Constanze Mausolf ging nach den geschwinden Tänzen zum ruhigeren Teil des Programms über. Zusammen mit dem Leipziger Blechbläserquintett stimmte sie einige ältere Schlager an. Mit rauher Stimme und wehender Federboa interpretierte sie unter anderem Marlene Dietrichs männermordende Chansons. Doch kaum war ihre Stimme verhallt, wirbelten abermals Tänzer über die Bühne. Diesmal präsentierte sich der Volkstanzkreis aus Halle. Auch hier war eine professionelle Hand zu spüren, denn die Choreographie war anspruchsvoll. Ein wenig verblüfft stellte ich fest, daß mehrere der Tänzer in meinem Alter waren, und ich fragte mich erst, was einen anficht, mit Mitte Zwanzig Mitglied in einer Volkstanzgruppe zu sein. Doch schnell wurde gewiß, daß die Tänzer dies aus freien Stücken taten, da ihre Freude beim Tanz fast Funken sprühte. Zudem erwiesen sich alle als ein hervorragend aufeinander eingespieltes Team.

Die Fans von Werner Müller hatte bis kurz vor Ende der Veranstaltung auf den Auftritt der Mutter der "Ostdeutschen Familie" und bekannten Autorin warten müssen, doch das lange Warten machte sich bezahlt. Leider kamen nicht alle Zuschauer in den Genuß von Werner Müllers kulinarischen Heimaterinnerungen, da viele Busse vor Ende der Veranstaltung abfuhren. Doch wie schon bei der "Ostdeutschen Familie" am Nachmittag waren die Menschen von ihren Beiträgen und der Art der Darbietung äußerst angetan. Die Vitalität, Stärke und lebensbejahende Einstellung der 86jährigen, die so manches Mal mit ihrem Alter kokettiert und so ein Raunen des Erstaunens über ihr nicht erwartetes hohes Alter auslöst, fasziniert.

Umhüllt vom Dunkel der hereinbrechenden Nacht, welche den Eindruck verlieh, daß die dezent beleuchtete Glashalle allein im weiten Kosmos stehe, stimmten die Leipziger Blechbläser zum letzten gemeinsamen Singen ein. Die Atmosphäre war äußerst besinnlich, und nachdenklich wanderte ich von der Musik fort. Ein Stück von der Bühne entfernt lauschte ich den Stimmen, sah durch die große Glaskuppel in den dunklen Nachthimmel hinein und war froh, diesen unerwartet stimmungsvollen bunten Abend als Berichterstatterin zugeteilt bekommen zu haben. Fritz Hegelmann
 
     
     
 
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