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Moskau öffnet die Archive

 
     
 
München – Etwa eine Million Schicksale von deutschen Verschollenen konnten seit Ende des Zweiten Weltkrieges aufgeklärt werden. Seit Jahren sind dies laut Deutschem Roten Kreuz (DRK) fast konstant 30 000 Fälle, die pro Jahr durch neue Informationen einer Lösung zugeführt werden können. Aber noch heute, über 50 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges, ist das Schicksal von noch immer etwa 1,5 Millionen deutschen Gefangenen der Sowjets ungeklärt.

Doch seit am 31. März 1998 zwischen dem Deutschen Roten Kreuz und dem KGB-Nachfolgegeheimdienst FSD ein Abkommen geschlossen wurde, könnte sich das ändern. Seit etwa 14 Tagen haben nun die Zusendungen der ersten Disketten
begonnen, die auf Grundlage dieses wohl bislang einmaligen Vertrages zwischen einer humanitären Organisation und einem Geheimdienst erfolgen. Es handelt sich um eine CD-Rom mit etwa 30 000 deutschen Namen. Dies sei, so der Leiter des Bayerischen Roten Kreuzes (BRK) in München, Klaus Mittermaier, "eine Teilmenge von insgesamt etwa 250 000 bis 300 000 Namen". Diese Namen sollen dann mit den bereits in München vorhandenen 1,2 Millionen Suchmeldungen abgeglichen werden. Der BRK-Chef hofft, noch in diesem Jahr weitere Disketten und Mikrofilme geliefert zu bekommen. Denn, so Mittermaier, immer noch seien etwa zehn Prozent der deutschen Bevölkerung ohne Nachricht über das Schicksal von Angehörigen.

Bereits seit 1992 ist es aufgrund einer Absprache zwischen dem damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl und dem russischen Präsidenten Boris Jelzin möglich, russische Archive für den Suchdienst des DRK zugänglich zu machen. Insgesamt sind seitdem 600 000 Namen aus sowjetischen Karteien kopiert worden, um dann als Film oder per Computer-Diskette nach Deutschland gesandt zu werden.

Die Bestände der meisten dieser Archive galten bislang strikt als geheim. Zu Zeiten der Sowjetunion wurde von der Sowjetunion sowie von anderen Ostblockstaaten die Zahl der Gefangenen in den Lagern kleingeredet oder ihre Existenz schlicht geleugnet.

Das Schicksal dieser Gefangenen, die in Lagern des KGB-Vorgängers NKWD eingekerkert waren, ist zum Teil erschütternd. Der NKWD hatte, wie im Falle Buchenwald, vormalige deutsche Konzentrationslager einfach übernommen und in ihnen Menschen untergebracht, die sie beschuldigten, mit dem Nationalsozialismus kooperiert zu haben oder selbst Nationalsozialisten zu sein. In den meisten Fällen handelte es sich jedoch einfach um deutsche Bürger, Zivilisten, die sich in irgendeiner Weise gegen die Besatzerwillkür der Sowjets aufgelehnt hatten oder die diesen sonst mißliebig waren oder die von Nachbarn denunziert worden waren. Ein ordentliches Gerichtsverfahren gab es praktisch nie.

Die Namen dieser deutschen Gefangenen tauchen in den jetzt zur Auswertung anstehenden sowjetischen Dokumenten jedoch nur dann auf, wenn diese anschließend aus den deutschen NKWD-Lagern weiter in die Sowjetunion deportiert wurden. Wie das Leben in den NKWD-Lagern in der Sowjetunion war, kann man in vielen Memoiren von denjenigen nachlesen, die das Glück hatten, die Hölle dieser Lager zu überleben. Viele, sehr viele, überlebten diese ihnen angetanen Qualen nicht.

Inzwischen wurde in einem Archiv des russischen Innenministeriums in Podolsk, südöstlich von Moskau, ein weiterer sensationeller Fund gemacht. Dort entdeckten DRK-Vertreter etwa 50 000 Aktenordner voller Feldpostbriefe deutscher Soldaten an ihre Angehörigen. Diese waren entweder bei der Eroberung deutscher Stellungen, beim Abschuß von Feldpost-Flugzeugen oder bei gefallenen Wehrmachtssoldaten in die Hände des sowjetischen Geheimdienstes gelangt. Nebeneinandergestellt erreichen die Aktenordner eine Länge von vier Kilometern. Vier Kilometer Schicksale. H. B. v. S.

 
     
     
 
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