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Neubau einer Altstadt

 
     
 
Jahrzehntelang war das hinterpommersche Kolberg ein städte-baulicher Schandfleck. Am Ende des Zweiten Weltkrieges von der Roten Armee zu über 80 Prozent zerstört, hatten die polnischen Kommunisten den Altstadtbereich entweder mit Plattenbauten zugepflastert oder dem Wildwuchs sogenannter Parkanlagen überlassen.

Der fünfschiffige katholisch
e Mariendom wurde zwar Mitte der 80er Jahre mit erheblichem Aufwand wiederaufgebaut, doch fünf andere mehr oder weniger kaputte evangelische Kirchen verschwanden nach dem Krieg auf Geheiß der neuen Machthaber von der Bildfläche. Auch sonst blieb von den einst bekannten Bauten der durch den Salzhandel reich gewordenen Hansestadt praktisch nichts übrig.

Ein architektonisches Juwel ist Kolberg bis heute nicht, aber die Fortschritte können sich immerhin sehen lassen. So lautete auch die Bilanz Susanne Lettenbauers in einem am 6. Mai in der WDR 5-Sendereihe "Alte und neue Heimat" ausgestrahlten Radiobeitrag.

Gespräche mit dem Kolberger Stadtpräsidenten Bogdan Blasz-czyk und dem Architekten Andrzej Lepczinski ließen darin die beeindruckende Dimension des bis zum Jahr 2015 angesetzten Altstadt-Sanierungsprogramms erkennen. Erste innerstädtische Erfolge sind bereits in Gestalt neu bebauter Gassen wie der Marienstraße (ul. Mariacka) sichtbar. Statt der sattsam bekannten Plattenbauhochhäuser dominieren dort einfallsreich gegliederte dreistöckige Wohn- und Geschäftsgebäude.

Der seit zwei Jahren amtierende Blaszczyk zeichnet sich durch ungewöhnliche Tatkraft aus: In kurzer Zeit konnte der örtliche Flughafen mit Hilfe einer dänischen Firma ausgebaut werden, und das Hafenviertel erstrahlt in alt-neuem Glanz. Es wirkt so anziehend, daß dort sogar einige Bundesdeutsche Wohnungen erworben haben.

Probleme damit hat der Bürgermeister keine; gleich nach seinem Einzug ins Rathaus signalisierte er den Kolberger Vertriebenen Gesprächsbereitschaft über städtische Belange. Die geplante Komplettbebauung der alten deutschen Friedhöfe wurde gestoppt und ein Lapidarium zur Erinnerung an die früheren Bewohner beschlossen.

Da aus Warschau keinerlei Unterstützung für die Kommune kommt, müssen das Stadtbild und die Infrastruktur Kolbergs aus eigener Kraft auf Vordermann gebracht werden. Die Hauptaufmerksamkeit gilt dabei der Entwicklung des traditionsreichen Kurbetriebes. Zwischen 1800 und dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges nahm die Bedeutung Kolbergs als Sol-, Moor- und Seebad stetig zu. Im Jahr 1938 zählte man mit 44 508 Urlaubern die höchste Besucherzahl aller deutschen Seebäder. Und heute ist die über 40 000 Einwohner zählende Stadt der größte Kurort in der Republik Polen.

Die für das touristische Flair mitentscheidende Neugestaltung der Altstadt wird schrittweise vorangetrieben. Zuerst führt man Ausgrabungen auf den Freiflächen durch. So kann das Leben der Kolberger seit der 1255 nach lübischem Recht erfolgten Stadtgründung erforscht werden. Da die wichtigste pommersche Festung in den napoleonischen Kriegen weitgehend niederbrannte, zeigen die Fundamente insbesondere den Aufbau von aus dem 19. Jahrhundert stammenden Bürgerhäusern.

Diese sollen auch überirdisch rekonstruiert werden. Wie, das schilderte in der WDR-Sendung der Architekt Lepczinski: "Also es geht um die (Backstein-) Gotik und darum, daß man die Häuser ein bißchen so wie früher wiederherstellt, aber nicht genauso. (...) Als erstes planen wir um das Rathaus herum den Marktplatz wiederherzustellen, so wie er früher aussah."

Allerdings gibt es auch Widerstände. Viele Bewohner Kolbergs begrüßen zwar den Neubau einer Altstadt, wollen diese aber nicht auf dem historischen Boden, also den Nachkriegs-Parkanlagen und Freiflächen, errichtet wissen.

Nur Lob spendete dagegen der Kulturreferent des Heimatkreisausschusses Kolberg, Horst-Rüdiger Marten. Im WDR-Interview erklärte er: "Unsere alten Hausfassaden (...) waren ja nicht gerade sehr schön. Es waren glatte Wände ohne jeden Schmuck. Und jetzt mit einem Mal nimmt man die alte Bauweise wieder auf und gliedert diese mit Balkons, Loggien, Erkern auf und versucht teilweise sogar, Fachwerk wieder nachzubilden.

In Kolberg ist so gewaltig was passiert, daß jeder Kolberger, der ehrlich mit sich ist und nicht zu sehr an der Vergangenheit hängt, sagen muß, mein Gott, endlich ist das eine Stadt, die du deinen Enkeln mal als deine Heimatstadt vorführen kannst!" "

Auch wenn dieser Kommentar zu überschwenglich ist, zeichnet sich in Kolberg zweifellos eine Entwicklung ab, die aus dem verkümmerten Seebad wieder eine richtige Stadt werden läßt. Ähnliches hat in Hinterpommern auch Stolp im Sinn, – und man kann nur hoffen, daß das Umdenken weiter Schule macht.

 
     
     
 
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