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Neues Leben für eine alte Idee

 
     
 
Respekt, Respekt. 3000 Delegierte vertraten 105 Städte aus zwölf Ländern – das sind nüchterne Zahlen des 26. Internationalen Hansetages, der am vergangenen Wochenende in Osnabrück stattfand. Gleichzeitig wurde mit diesem Treffen das Jubiläum 650 Jahre Städtehanse gefeiert. Wenigen der Neuhanseaten, die da in Osnabrück so überaus zahlreich zusammenkamen, wird bewußt gewesen sein, daß selbst zur Blütezeit der Hanse niemals ein vergleichsweise stattlicherer Hansetag zelebrierte wurde. Jedenfalls, was die teilnehmenden Personen betrifft. Allerdings mußten die Ratssendboten vergangener Tage im Gegensatz zu ihre heutigen Kolleginnen und Kollegen einen beträchtlichen Teil der nicht unerheblichen Reisespesen aus der eigenen Tasche bezahlen. Und unbedingt komfortabel war das Reisen auch nicht. Also beschränkte man sich auf das Erforderliche und vermied das Vermeidbare.

Der rege Zuspruch zum 26. Hansetag der Neuzeit verdeutlicht aber auch dies: Eine Idee setzt sich durch, wenn sie zur rechten Zeit entwickelt wird. Offenbar ist der Hansetag solch eine Idee. Über 300 Jahre lang hat ihn niemand wirklich vermißt. Als sich dann aber die niederländische Stadt Zwolle 1980 auf ihre hanseatische Tradition besann und zu einem Hansetag der Neuzeit einlud, fragte sich mancher in den größeren Hansestädten, warum man nicht schon früher auf diesen Gedanken gekommen sei. Europa wuchs zusammen, Grenzen verloren ihre Bedeutung – und die Städte hatten überall genügend gleiche oder ähnliche Probleme, bei deren Bewältigung ein Erfahrungsaustausch hilfreich sein könnte. Die Idee einer neuen Hanse und damit eines neuen Hansetages fiel also auf fruchtbaren Boden.

Eigentlich hatten die Bürger von Zwolle 1980 der 750-Jahr-feier ihrer Stadt einen besonderen Glanzpunkt aufsetzen wollen, als sie zum Hansetag luden. Niemand hätte erwartet, daß daraus eine feste Einrichtung würde. Es war der damalige Bürgermeister Lübecks, Robert Knüppel, der den Vorschlag machte, dem seit 311 Jahren erstmals wieder einberufenem Hansetag weitere folgen zu lassen. In Zwolle waren Vertreter von 45 Städten aus fünf Nationen zusammengekommen. Sie griffen den Vorschlag des Lübecker Bürgermeisters auf – und erinnerten sich daran, daß Lübeck einst das Haupt der Hanse gewesen war. Auf diesen Rang hatten übrigens 1294 die Bürger Zwolles Lübeck gehoben, als sie sich in einem Schreiben für die tatkräftige Sicherung ihres Seehandels durch die Lübecker Flotte bedankten und in dem Brief formulierten, sie hingen „wie die Glieder mit dem Haupte“ (Lübeck) zusammen. Lübeck hatte diese Führungsrolle gerne angenommen und ihr mit großem Erfolg entsprochen. Dessen eingedenk, bot auch die neue Hanse Lübeck die Führungsrolle an – einer muß schließlich die organisatorische Arbeit leisten.

Inzwischen gehören dem Hansebund der Neuzeit 163 Städte aus 15 europäischen Ländern an. Es ist damit die weltweit größte, freiwillige Städtegemeinschaft. Neben den eigentlichen Hansestädten rechnen sich auch einige der ehemaligen großen Handelskontore wie Nowgorod in Nordwestrußland und einige der kleineren Niederlassungen dem Bündnis zu.

Zielsetzung und Aufgaben umreißt der amtierende Lübecker Bürgermeister Bernd Saxe so: „Die ‚neue‘ Hanse hat sich zur Aufgabe gemacht, den Geist der Hanse als Lebens- und Kulturgemeinschaft der Städte lebendig zu halten, ihren in Jahrhunderten erprobten Bürgersinn, die Identifizierung des Bürgers mit seiner Stadt und ihren Aufgaben gewissermaßen als Hansisches Vermächtnis aufzugreifen und mit neuer Kraft zu erfüllen. Die Idee der Versöhnung über die Grenzen hinweg, die Idee einer dauerhaften Friedensordnung in Europa, tritt dabei immer stärker hervor.“

Diese Aufgaben wurden in einer Satzung festgeschrieben. Das wäre nicht weiter erwähnenswert – jeder Verein hat seine Satzung – wenn es nicht die erste Satzung der Hanse überhaupt wäre. Der alte, erfolgreiche Städtebund der Hanse kam gänzlich ohne Satzung aus. Der neue Städtebund also hat seit dem Jahr 2000 eine Satzung, in der die Eckpunkte der Aktivitäten klar bestimmt sind. Die Kaufleute, welche die erste Hanse gründeten, brauchten so etwas nicht.

Die Kaufleute wußten, was sie wollten: In Frieden gute Geschäfte
machen. Darum schlossen sie sich zu einer Interessen- und Zweckgemeinschaft zusammen. Das waren die Anfänge der Kaufmannshanse. Schon 1161 handelten deutsche Kaufleute über die Ostsee mit Gotland. Um die Gefahren der Reise zu mindern, gründeten die Fernhändler ein genossenschaftliches Bündnis, das sie „Hanse“ nannten. Es ist das älteste deutsche Wort für Gesellschaft oder Gemeinschaft.

Vermutlich bildeten Lübecker Kaufleute dies Bündnis zusammen mit Fernhändlern aus Westfalen, Niedersachsen und vom Niederrhein, denn ein Mandat Heinrichs des Löwen galt für „Theutonici“, nicht allein für „Lubicensis“.

Im 13. Jahrhundert schlossen sich auch andere, neu an der Ostsee gegründete Städte der Hanse an. Somit wurde die Gemeinschaft der Gotlandfahrer, der „universi mercatores imperii Romani Gotlandiam frequentantis“ zur Keimzelle der Kaufmannshanse.

Die deutschen Kaufleute in Visby bestimmten vier „Älderleute“, die ihre Interessen nach außen vertraten und interne Streitigkeiten schlichteten. Diese Äldermänner repräsentierten zugleich die vier stärksten Gruppen: die Kaufleute aus Lübeck, Soest, Dortmund und Visby selbst.

Über Gotland ging der Handel mit dem Nordosten Europas. Die Händler tauschten Wachs, Pelze und Honig ein gegen Tuche, Waffen, Wein, Gerätschaften. Später kamen Salz, Heringe, Getreide und Stockfisch hinzu. Gotland war Stützpunkt im Handel mit Nowgorod, das entweder von den „Wasserfahrern“ über den Finnischen Meerbusen und die Neva oder von den „Landfahrern“ über Riga und Reval angesteuert wurde.

Als Fernhändler gehörten die Kaufleute in einer Stadt wie Lübeck ohnehin zur führenden Schicht, und so deckten sich ihre kommerziellen Interessen nahtlos mit denen der Stadt. Erst Mitte des 14. Jahrhunderts begann sich das zu ändern.

1356 lud der Lübecker Rat Vertreter jener Städte an die Trave, denen am Handel mit Flandern gelegen war. Die Ratsherren wollten nicht mehr den Kaufleuten allein die konfliktreichen Verhandlungen um Handelsrechte überlassen. Die großen norddeutschen Städte, die Fernhandel betrieben, folgten der Einladung. Das Treffen wird deshalb als der erste allgemeine Hansetag eingestuft. Zwei Jahre später tauchte erstmals der Begriff von der „stad van der Dudeschen hense“ (Stadt von der Deutschen Hanse) auf. Deshalb wird mit dem ersten Hansetag auch der Übergang von der Kaufmanns- zur Stadthanse verbunden.

Ein festes Bündnis ist die Hanse nie gewesen. Schon die Angaben über die Zahl der Städte, die ihr angehörten, schwanken zwischen 50 und 200. Handfeste Eigeninteressen bestimmten die jeweilige Zugehörigkeit. Deshalb hat es auch keinen Hansetag gegeben, auf dem alle Städte vertreten waren. Besonders eng arbeiteten die wendischen Städte mit Lübeck an der Spitze zusammen. Während der großen Zeit der Hanse sind zu dieser Interessengemeinschaft 70 Städte zu rechnen. Sie waren es auch, die hauptsächlich zum Hansetag — meist nach Lübeck — eingeladen wurden. Vertreter weiterer 100 Städte zog man gelegentlich hinzu. Die Führungsrolle Lübecks verdeutlicht auch die Tatsache, daß die Stadt zu den Hansetagen einlud. Neben dieser höchsten Instanz der Hanse entwickelten sich regionale Hansetage, auf denen Städte zusammenkamen, die durch eine gemeinsame Interessenlage der Region verbunden waren. Die Teilnahme daran war häufig reger als bei den großen Zusammenkünften, da die Städte die hohen Reisekosten scheuten.

Genau festgelegt wurde der Begriff der Hanse nicht. Ein Schreiben an den englischen König definiert 1450 das Bündnis vage: „dat de stede van der hense sin wol en corpus in etliken eruntscoppen unde vorbitnissen“, also eine Einrichtung aus Freundschaften und Bündnissen. Etwas kalkulierte Geheimniskrämerei steckte allerdings auch in dieser wenig konkreten Auskunft. Die Engländer hatten mehrfach nachgefragt, wer denn alles zu dem Bündnis gehöre. Da die Mitglieder der Hanse nahezu Zollfreiheit genossen, wollten die Engländer dieses Privileg keinem Nichtmitglied gewähren. Tatsächlich aber hat die Hanse ihre Mitglieder niemals registriert und auch kein Verzeichnis geführt.

Trotz dieser lockeren Form des Zusammenschlusses und der vagen Umschreibung der Aufgaben entwickelte sich der Hansetag bald zur höchsten Instanz des Bündnisses für Städte zwischen Livland und Holland. Er traf grundsätzliche Entscheidungen, gegen die keine Berufung möglich war. Ihm oblagen die Ratifizierung von Verträgen oder die Festlegung von Handelsprivilegien, Verhandlungen mit ausländischen Städten oder Herrschern, die Berufung von Gesandten – und letztendlich die Entscheidung über Krieg und Frieden. Alle gefaßten Beschlüsse waren für die Mitglieder bindend.

Das Kerngebiet der Hanse reichte von der Mündung der Elbe bis zur südwestlichen Küste der Ostsee. Von Beginn an bildeten die sogenannten wendischen Städte Lübeck, Hamburg, Wismar, Rostock, Stralsund, Greifswald und Lüneburg das Rückgrat des Bündnisses. Früh kamen Anklam, Demmin, Stettin, Stargard, Kolberg, Kiel und Stade hinzu. Später reihten sich aus dem Gebiet Buxtehude, Rügenwald, Stolp, Treptow, Wollin, Schlawe, Greifenberg, Kammin, Köslin, Belgard, Gollnow und Usedom in das Bündnis ein. Besonders zahlreich war der Zusammenschluß in Westfalen und Niedersachsen vertreten. Das ist nicht weiter verwunderlich, denn die Fernkaufleute, die sich in Lübeck angesiedelt hatten, stammten vorzugsweise aus diesem Bereich, verfügten also über verwandtschaftliche und wirtschaftliche Beziehungen. Zu den ersten Mitgliedern gehörten die Städte Dortmund, Soest, Münster, Minden, Bremen, Braunschweig, Goslar, Hildesheim, Göttingen, Magdeburg, Hannover – und der Gastgeber 2006, Osnabrück. Später stieß nahezu jede Stadt in Westfalen zu dem Bündnis. In Preußen waren sechs Städte schon zum Beginn der Hanse dabei: Kulm, Thorn, Elbing, Danzig, Königsberg und Braunsberg.

Gute Zeiten, schlechte Zeiten – die kannten das Bündnis der Hanse und die Hansetage selbstverständlich auch. Bezeichnenderweise waren die schlechten Zeiten der Hanse die guten Zeiten für die Hansetage, und umgekehrt waren die guten Zeiten der Hanse die schlechten für die Hansetage. Denn wenn es irgendwo kriselte, drängte alles zu den Hansetagen. Florierten die Geschäfte aber ohne Probleme, schwänzte man ganz gerne die Zusammenkünfte.

So sahen sich schon die Vertreter auf dem Hansetag 1441 zu doppelter Klage veranlaßt: Viele Städte fehlten unentschuldigt, oder aber sie hatten Vertreter entsandt, die weder rechtlich noch fachlich ausreichend qualifiziert waren. Fortan, so beschlossen die Anwesenden, müsse jede Stadt, die keinen geeigneten Vertreter entsende, eine Geldbuße zahlen oder aber einen Reinigungseid ablegen, der folgenden Wortlaut hatte: „Ich schwöre von unseren Rates wegen; daß wir nicht gekommen sind zur Tagfahrt nach Lübeck, das haben wir nicht mit Vorsatz unterlassen oder um Kosten zu sparen, sondern es ist geschehen aus wirklichen Notsache und nicht anders, sonder Arglist, daß mir Gott helfe und seine Heiligen.“

1669 aber half auch das nichts mehr. Nur noch acht Städte kamen zu dem Hansetag in Lübeck: Hamburg, Bremen, Danzig, Rostock, Braunschweig, Hildesheim, Osnabrück und Köln. Zwar wurde in insgesamt 18 Sitzungen heftig über die Zukunft des Bündnisses diskutiert – aber es hatte keine mehr. In nicht einem einzigen Punkt konnte Übereinstimmung erzielt werden. Lediglich das Sonderbündnis zwischen Lübeck, Hamburg und Bremen hatte weiter Bestand.

So entschlummerte mit dieser Tagfahrt 1669 das großartige Bündnis der Hanse. Insgesamt 72 Hansetage hatte es gegeben, 54 davon fanden in Lübeck statt. Die „neue“ Hanse verteilt ihre Termine etwas gerechter. Da kommt jeder einmal an die Reihe. Im kommenden Jahr ist es Lippstadt, in drei Jahren Nowgorod, in zehn Jahren Bergen …

Ja, die Termine der neuen Hansetage sind begehrt und langfristig vergeben. Wismar ist 2029 an der Reihe. Solche Terminplanung zeigt, wie vital die neue Hanse nach langem Tiefschlaf ist.

Der Hansebund ist mit 163 Städten aus 15 europäischen Ländern die größte freiwillige Städtegemeinschaft der Welt

Der erste historische allgemeine Hansetag, mit dem die Kaufmanns- zur Städtehanse wurde, fand vor 650 Jahren in Lübeck statt

Nach olympischem Vorbild: Präsentation der Delegationen vor dem Rathaus
 
     
     
 
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