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Noch eine Madonna - und ich kreisch

 
     
 
Wenn sich in diesen Tagen wieder die Freunde der Dichterin Agnes Miegel in Bad Nenndorf treffen, dann werden viele sie nicht mehr von Angesicht zu Angesicht kennengelernt haben. Sie kennen ihre "Mutter Ostdeutschland" natürlich aus ihren Gedichten, Balladen und Erzählungen, kennen ihr äußeres Erscheinungsbild von Fotograf
ien. Einigen aber wird die Dichterin aus Darstellungen der bildenden Kunst keine Unbekannte sein. Heinrich Wolff, der Professor an der Königsberger Kunstakademie, hat sie porträtiert. Dem aus Mehlsack stammenden Bildhauer Georg Fuhg war es noch gelungen, die 80jährige Dichterin zum "Sitzen" zu bewegen, damit er ihren Kopf zunächst in Ton formen konnte. Vera Macht, in Rom lebende Ortelsburgerin und bekannt durch Porträtaufträge, die sie in alle Welt führten, ließ sich durch eine Fotografie der jungen Agnes Miegel zu einem zauberhaften Porträt anregen.

Agnes Miegel selbst fühlte sich auch zur bildenden Kunst hingezogen. Ihre Biographin Anni Piorreck schrieb über die junge Königsbergerin, die 1904 nach einem Aufenthalt in England in Berlin weilte, um sich dort auf ihr Lehrerinnen-Examen vorzubereiten: "Jede Gelegenheit nimmt sie wahr, um eine Kommunikation mit künstlerischen Ereignissen zu suchen. Sie besucht regelmäßig die Ausstellung der Sezession und bewundert Skulpturen und Porträts der damaligen Zeit." 1898 war sie mit ihrer Freundin Lise für ein Vierteljahr in Paris gewesen, hatte dort den Louvre besucht, Notre-Dame und Montmartre. Plakate von Toulouse-Lautrec weckten ihre besondere Begeisterung. Eine Reise führte sie 1911 nach Italien. In Rom folgte eine Besichtigung nach der anderen. Nach einem langen anstrengenden Studientag aber soll Agnes Miegel gestöhnt haben: "Nun aber Schluß! Noch eine Madonna - und ich kreisch !" In den Vatikanischen Sammlungen begegnete ihr die Gestalt eines germanischen Kriegerknaben, der sie sehr viel später zu einem Gedicht anregen sollte - "Steingewordener Klang aus eines Künstlerherzens Lobgesang ..." Die Erlebnisse und Eindrücke mußten sich erst verdichten, hinabsinken in die Tiefe der Seele, um dann als ergreifende Erzählung, als visionäres Gedicht wieder aufzutauchen. Ihre Sprache, die Sprache einer Dichterin, wird auch uns Heutigen dann wieder zu einem Bild, so sinnenfroh, so anschaulich weiß sie zu erzählen.

Georg Fuhg: Der Bildhauer porträtierte die Dichterin im 80. Lebensjahr.
 
     
     
 
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