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Ortsatlas des Kirchspiels Grabowen (Arnswald) wurde neuaufgelegt

 
     
 
Überraschend ist die erste Auflage der beispielhaften, erkennbar zeitaufwendig recherchierten siedlungshistorischen Dokumentation der Alt.-Ges. Prussia vergriffen: die zweite korrigierte Auflage liegt vor.

Dr. Rothe erläutert alle verfügbaren Quellen über die Dörfer im Kirchspiel Grabowen/Arnswald, damit sich Zeitzeugen "zu ihren Wurzeln bekennen können"; und ordnet sie ein in die Geschichte Preußisch Litauens. Historikern bietet er "eine Ersatzquelle, die kritischem Anspruch standhält". Dieses doppelte Ziel erreicht er mit seiner beispielhaften landeskundlichen Studie "Ortsatlas des Kirchspiels Grabowen".

Denn Wert und Reiz gewinnt seine Darstellung der Wechselbeziehung der großen Geschichte Ostdeutschlands
und Preußisch Litthau- ens mit der Lebenswirklichkeit masowischer und prußisch-litauischer Dörfer (nahe der alten Reichsgrenze zu Polen) durch kommentierte Quellen und zahlreiche Fotos mit typischen Motiven. Die 48 Orte des Kirchspiels werden dokumentiert vom 16. Jahrhundert bis heute durch eine breite Basis staatlicher, kirchlicher und privater, praktisch kaum zugänglicher Quellen. Er ermittelte sie in mehr als einem Dutzend deutscher und polnischer Archive und Bibliotheken und ver- öffentlicht sie hier, zum Teil erstmals: Belege für die Ortsnamen prußischer, masowischer, litauischer und deutscher Herkunft, staatliche und kirchliche Gliederungen, Siedlungsstrukturen; historische Karten, Einwohnerlegenden und detailgetreue Dorfpläne (Stand 1944), Zeittafeln für jeden noch so kleinen Weiler, Bevölkerungsverluste durch Krieg und Kriegsfolgen, Bestandsaufnahmen der erhaltenen Bausub-stanz, Fluchtberichte. Die lückenlosen statistischen Daten sind ver- knüpft mit persönlichen Schilderungen, Notizen, Anekdoten, Dorfbeschreibungen.

Die Siedlungsgeschichte Ostdeutschlands im zweiten Teil beschränkt Dr. Rothe auf die wichtigen "Zäsuren": auf die Erstbesiedlung der "Großen Wildnis" (später "Preußisch Litthauen", Reg.-Bez. Gumbinnen), Kriege, Katastrophen, Aufbauleistungen sowie deren Auswirkungen auf das flache Land. Die Perspektive der Siedler multi-ethnischer, -regionaler und -konfessioneller Herkunft vermittelt gelegentlich neue Einsichten über die Lebenswirklichkeit der Domänenbauern auf dem kulturell zurückgebliebenen flachen Land wie über die klimatisch und geologisch bedingte kurze Vegetationsperiode, die Prußen-Nachkommen als erste Siedler, Rétablissement und Re- peuplirung nach der großen Pest, die "Tribukeit sche Chronik" über die Separation 1830 (die "Revolution von oben"), den Umsturz der Besitz-Strukturen durch die Agrarreformen. Manches vertraute, nicht selten verklärte Idealbild historischer Vergangenheit wird relativiert - wie die Rolle der Salzburger, der schmerzhafte Weg zur freien Bauernwirtschaft, die mühsame Alphabetisierung; dankenswert deutlich betont wird die Funktion des evangelischen Pfarrhauses als Katalysator bei der Verschmelzung (nicht Germanisierung) der verschiedenen ethnischen Glaubensflüchtlinge mit dem hohen Anteil prußischer Urbevölkerung. Friedrich Wilhelm I. wird als sozialer Reformer, Ökonom und Fürsprecher der kleinen Leute durch sein lebenslanges Engagement für die tolerante Erhaltung der ethnischen und konfessionellen Identität der Masowier und der Litauer gewürdigt. Die Chronik der Pfarrei Grabowen wird erstmals publiziert, mit Details des Kirchenkampfes der Bekennenden Kirche in dem kleinen Kirchdorf.

Das Werk schließen ab bisher unbekannte Einzelheiten der Wiederbesiedlung nach 1945 aus amtlichen polnischen Quellen (überwiegend durch Polen aus dem benachbarten Suwalki und eben nicht durch Umsiedler aus den an Rußland verlorenen polnischen Ostgebieten!), Belege über Zerstörungen der abzie- henden Roten Armee Ende 1945, viel folgenschwerer als die geringen Kriegszerstörungen (erwähnenswert die Mitwirkung des polnischen Historikers J. Soma). Dieser historische Teil macht das Buch selbst für Leser interessant, die nicht aus Grabowen stammen.

Das Werk verdankt seinen Eindruck einer vielschichtigen Darstellung dem Umstand, daß der Jurist und Historiker Rothe, Jahrgang 1934, selbst in der Region verwurzelt ist. Wohl deshalb vermag er das auf den Boden fixierte Heimatgefühl zu vermitteln, das Gräfin Dönhoff als die besondere Verwobenheit der Menschen aus dem Osten mit "ihrem" Land charakterisiert, das Festhalten an Grund und Boden, die Zuwendung zur herben Landschaft (Die Zeit 20. November 1970).

Der Gesamteindruck bleibt der eines gelungenen Wurfes. Glück-wunsch der Kreisgemeinschaft Goldap für das Ergebnis ihrer Auf- wendungen zu dieser Landesaufnahme. S. A.

"Ortsatlas des Kirchspiels Grabowen (Arnswald)", brosch., lamin. Umschlag, 216 z. T. farbige Abb., 404 Seiten, 25 Euro
 
     
     
 
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