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Böse Zungen behaupten, daß die EG-Agrarpolitik, das traditionelle Herzstück und für viele wohl auch die Daseinsberechtigung der EU, geschaffen wurde, um Frankreich auch ohne Friedensvertrag deutsche Reparationen, sprich Transferleistungen ohne Gegenleistungen, zukommen lassen zu können. Diese gewagte These wird sich schwerlich verifizieren lassen, doch ist unabweislich, daß bei der Gemeinsamen Agrarpolitik Industrienationen wie vor allem die deutsche die Zahler und stärker agrarisch geprägte Länder wie vor allem Frankreich die Empfänger sind. Das war so lange kein Problem, bis Großbritannien zur EG stieß. Dessen "Eiserne Lady" stand wie die deutschen Bundeskanzler an der Regierungsspitze einer Industrienation, doch im Gegensatz zu den Kanzlern regierte sie einen Staat, der souverän und dessen politische Kultur alles andere als von National masochismus geprägt war, und so lehnte sie es im Gegensatz zu ihren deutschen Amtskollegen ab, mit den Steuermitteln ihres Landes fremder Staaten Bauern zu subventionieren. Sie opponierte gegen die Diskriminierung der Industrienationen in der EG und erreichte als Kompensation den sogenannten Britenrabatt. Ein modus vivendi war gefunden, mit dem Deutschlands Partner in der EG leben konnten, und damit auch die deutschen Bundeskanzler.
Durch die EU-Osterweiterung herrscht nun jedoch Geldnot, und so steht der Britenrabatt zur Diskussion. In deutschen Augen mag dieser Rabatt ungerecht erscheinen, denn es ist schwer einzusehen, warum die britische Industrienation einen Rabatt bekommt und die deutsche nicht. Aus britischer Sicht hingegen stellt sich die Frage, warum man dafür bestraft werden soll, daß man eine Industrienation ist. Völlig zu Recht verweist Blair auf diesen Gesamtzusammenhang und macht eine Verminderung des Britenrabattes von einer Verminderung der Agrarsubventionen abhängig. Das ist die Chance Deutschlands, denn es würde von dem einen so sehr profitieren wie von dem anderen. Schröder möchte allerdings, nachdem er sich den Angelsachsen aus wahltaktischen Gründen bei deren Irakkrieg verweigert hat, nicht auch noch seinen Freund Chirac verlieren und macht sich deshalb dessen von den Interessen der französischen Landwirtschaft bestimmtes Nein zu Blairs Vorschlag zueigen. Man muß nicht Engländer sein, um Verständnis dafür aufzubringen, wenn nun auch Blair auf stur schaltet.
Auch Blairs Vorschlag die EU in Richtung europäische Freihandelszone zu verändern, ist im deutschen Interesse. Ständig wird den Deutschen gepredigt, sie wären die größten Nutznießer der EU im allgemeinen und der EU-Osterweiterung im besonderen, da die Nettozahlungen für den Exportweltmeister durch den Fortfall der Zollschranken mehr als kompensiert würden. Nun schlagen die Briten eine Entwicklung vor, die Deutschland die Vorteile der Union ohne deren Nachteile verspricht, aber Schröder wendet sich auch hier gegen Blair, diesmal mit dem Argument, daß sich Solidarität nicht in einer Freihandelszone, sondern nur in einer politischen Union mit Kohäsions- und Strukturfonds aufrechterhalten läßt. Wie diese Solidarität für die Deutschen in der Praxis aussieht, haben sie bei der kleinen Wiedervereinigung erleben können, als Widerstand nicht von den Supermächten, aber dafür um so mehr aus der eigenen Europäischen Gemeinschaft kam. Für die Bundesbürger stellt sich diese Solidarität als Einbahnstraße dar. Sie finanzieren den Aufbau zukünftiger oder gar schon heutiger Konkurrenz. Ein deutscher Arbeitnehmer, der sich der Situation bewußt ist, könnte daran irre werden. Seine politische Klasse dreht an der Steuer- und Abgabenschraube und verschlechtert damit diesen wichtigen Standortfaktor seines Landes und damit auch die Sicherheit seines Arbeitsplatzes, um über die Europäische Union Staaten wie Polen und der Tschechei die Modernisierung von Infrastruktur zu bezahlen; jene Staaten können dadurch, daß ihnen diese klassische staatliche Aufgabe von der EU in hohem Maße abgenommen wird, ihre Steuern senken; und vom deutschen Arbeitnehmer wird dann im Zweifelsfall Nettolohn- beziehungsweise -gehaltsverzicht mit der Begründung gefordert, daß sonst sein Arbeitgeber wegen deren attraktiven Mixes aus moderner Infrastruktur und niedrigen Steuersätzen seinen Arbeitsplatz nach Staaten wie Polen oder der Tschechei verlegt.
Doch nicht nur dem Briten Blair, sondern auch dem Niederländer Balkenende fährt Schröder in die Parade. Der niederländische Regierungschef ist hierüber verständlicherweise unangenehm überrascht, denn seine Forderung nach einer stärkeren Ausgewogenheit zwischen Geben und Nehmen in der Union ist sowohl gerecht als auch im Interesse Deutschlands. Davon läßt Schröder sich jedoch nicht leiten. Die Bundesbürger müssen einmal mehr die Erfahrung machen, daß ihre Regierung nicht nur deutsche Interessen nicht wahrnimmt, sondern vielmehr aktiv gegen sie Politik macht.
Es ist für die Deutschen zu befürchten, daß auch diese Krise wieder mit ihrem Geld gelöst wird - und das wäre diesmal sogar plausibel zu rechtfertigen. Schließlich hat ihr Kanzler Blairs Bemühungen um eine Beschränkung der Ausgaben auf den Gebieten Agrarsubventionen sowie Kohäsions- und Strukturfonds abgelehnt und damit - abgesehen vom verlorengegangenen Sparpotential - auch noch die britische Verhandlungsbereitschaft in der Frage ihres Rabattes verringert. Der niederländische Ansatz, die Nettozahler und damit auch Deutschland aus der Rolle der Melkkuh herauszubekommen und damit ein Stück Beitragsgerechtigkeit zu erzielen, ist durch ihren Kanzler verworfen worden. Und schließlich ist es ihr Kanzler, der immer neuen Erweiterungsrunden um Nettoempfänger das Wort redet.
Betreibt der Bundeskanzler wieder Scheckbuchdiplomatie, würde sich die Frage der Finanzierung stellen. Da Sparsamkeit nicht gerade die Tugend und Stärke der Bundesregierung ist, böten sich zwei Möglichkeiten an. Entweder werden für die EU die Steuern erhöht, was nicht das erste Mal wäre, oder es wird die Nettokreditaufnahme erhöht. Der Stabilitätspakt wäre hierfür kein Hindernis, denn weitblickend hat die rot-grüne Regierung bereits durchgesetzt, daß bei den Defizitkriterien Ausgaben für die europäische Einigung keine Rolle spielen. M. R. |
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