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Die Allgegenwart hohler Lippenbekenntnisse war es, die den Schriftsteller Martin Walser 1998 zu seiner spektakulären Friedenspreisrede veranlaßte. Für seine Kritik am Mißbrauch der NS-Vergangenheit als "Moralkeule" war er von den Ertappten schwer unter Feuer genommen worden.
Als der scharfe Beobachter deutscher Befindlichkeiten zum 8. Mai mit Gerhard Schröder über unser nationales Geschichtsverständnis diskutierte, hagelte es Schelte. Mit Walser dürfe der Kanzler nicht reden, giftete selbst Ex-Kulturminister Naumann.
Die umgekehrte Frage stellte niemand: Warum sollte Walser mit Schröder reden? Im Gespräch mit dem Literaten, dem jedes Wort von tiefer Bedeutung ist, fabulierte der SPD-Chef über sein positives Verhältnis zur Nation. Wenige Tage später aber raunte er mit seinem britischen Amtskollegen Blair gegen eine heraufziehende "Renationalisierung" Europas. Bei beiden Anlässen ging es Schröder allein um taktische Ziele - hier wahlkampfwirksam den Patrioten mimen, dort den drohenden Machtverlust der europäischen Sozialdemokraten aufhalten. Für solches Possenspiel sollte sich Walser nie mehr hergeben. Jan Breme |
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