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Mit Rasse - V a r i e t a s (bis Unterart oder Subspecies) bezeichnet man in der zoologischen Systematik Großgruppen bzw. Populationen von sich untereinander geschlechtlich fortpflanzenden Individuen, die sich durch die Gemeinsamkeit bestimmter Merkmale, wie Formeigenheiten, Farbe usw., aus der Gesamtheit aller Angehörigen einer Art (Species) herausheben (- Hominidensystematik). Dabei ist nun zu beachten, daß die Rassen einer Art untereinander unbeschränkt fruchtbar sind, die effektive Zeugungsschranke also erst auf der nächsthöheren systematischen Stufe zwischen Arten wirksam wird. Tatsächlich aber kommen unter natürlichen Bedingungen in einem bestimmten geographischen Bereich fast nur Angehörige einer Rasse vor, so daß die ungehinderte Zeugungsbeziehung innerhalb aller Angehörigen einer Art nur fakultativ gegeben ist, während sich die realiter möglichen Zeugungsbeziehungen der Individuen gemeinhin nur über einen begrenzten Raum erstrecken können. Damit ist jede Rasse, stammesgeschichtlich (phylogenetisch) gesehen, eine potentielle Vorstufe, aus der sich bei entsprechender Isolation im Laufe langer Generationenfolgen neue Arten entwickeln können (Rassengenese). Dadurch gewinnt die Rasse und gleichermaßen der Rassenbegriff bereits klassifikatorisches Gewicht als notwendige Ausgangsphase jeder höheren systematischen Ordnung.
Vor Bekanntwerden der faktoriellen Grundlagen für den Vererbungsvorgang stützte man sich bei der Aufgliederung von Arten in Rassen empirisch auf durch Beobachtung erfaßbare gruppenkennzeichnende Unterschiede in der Merkmalsverteilung. Nachdem Gregor M e n d e 1 durch seine Versuche den Erbgang bestimmter Anlagen nachgewiesen hatte (Mendelspaltung) und seine Entdeckung 40 Jahre später (nach 1900) wiederholt und nun zur Grundlage breiter exakter Experimentreihen wurde, konnte man sehr bald feststellen, daß auf der einen Seite die erblich fixierten Unterschiede im Anlagenbestand aller Individuen einer genetischen Population beachtenswert groß sind. In der Regel ist der Erbanlagenbestand (G e n o t y p) eines Individuums von dem jedes anderen seiner genetischen Population grundsätzlich verschieden. Das wird allein schon daraus begreiflich, daß wir für den Menschen mit Genen zwischen 24000 bis 42 000 (geschätzt) je Individuum rechnen müssen, von denen jeweils einige durch Mutation (Erbänderung) im Individuum neti abgewandelt worden sind. Gegenüber dieser scheinbar hohen individuellen Variabilität (Veränderlichkeit des Erbanlagenbestandes) ist nun aber zu betonen, daß der allen Angehörigen einer genetischen Population(Mendelpopulation ) gemeinsame Besitz bestimmter erblich fixierter kennzeichnender Merkmale davon nicht berührt wird, sondern offensichtlich bleibt. Auf Grund dieser Beobachtungen und entsprechender genetischer Gesichtspunkte kam Eugen Fischer für den Menschen als erster zu folgender noch heute gültigen Rassendefinition: »Rassen sind Gruppen (in Fortpflanzungsgemeinschaft) mit gemeinsamem Besitzbestimmter Gene, die anderen fehlen.«
Damit wurde erstmalig für den Menschen ein wissenschaftlich exakt begründeter und abgrenzender Rassenbegriff herausgestellt. Das war besonders notwendig und wesentlich, weil die Rassenfrage seit dem Beginn unseres Jahrhunderts ohne ausreichende allgemeine Kenntnis der dahinterstehenden biologischen Grundlagen lebhaft diskutiert wurde und dabei die Begriffe Rasse,, ‚Volk, (z. B. Germanen oder Romanen) und Sprachgruppe (z. B. Arier oder Semiten) unbekümmert durcheinandergeworfen und füreinander gesetzt wurden, obwohl nur die Rasse genetisch-biologisch fest zu definieren ist und nicht gleichermaßen mit Volks- oder Sprachgruppen korreliert werden kann. Bedauerlicherweise kam der naturwissenschaftliche Rassenbegriff dadurch von Anfang an in Mißkredit, was noch verstärkt wurde, weil er in den öffentlichen Auseinandersetzungen mit weltanschaulich-außerwissenschaftlichen Wertungen verbunden in Erscheinung trat. Diese Fehldeutungen können aber nichts an der Tatsache ändern, daß es genetisch bedingte Rassenunterschiede gibt, und also das Bestehen von Rassen aus der Wissenschaft Biologie, und damit auch für das Lebewesen Mensch, einfach nicht zu eliminieren Ist.
Nach dem Höhepunkt weltanschaulich-politischer Auseinandersetzungen im zweiten Weltkrieg hat dann die LI n e s c o zwei Statements an Race veröffentlicht. Das erste von 195o wurde ohne Beiziehung von Biologen verfaßt und stand noch ganz unter dem Eindruck dieser Auseinandersetzungen. Nach seiner einhelligen Ablehnung durch die entsprechenden Fachwissenschaftler aus aller Welt kam man dann 1951 zu folgender zweiten Formulierung: »Im anthropologischen Sinne sollte das Wort Rasse für Gruppen der Menschheit reserviert bleiben, die gut ausgeprägte und vorwiegend erblich bedingte physische (d. h. körperliche) Unterschiede gegenüber anderen Gruppen aufweisen.«
Die wenigen Biologen, die an diesem Kongreß teilnahmen, erhoben sofort dagegen Einspruch, daß sich die neue Definition nur auf die physischen Unterschiede beschränkte und den psychischen (geistig-seelischen) Bereich ausklammerte. Es kann für diesen Bereich aus genetischer Sicht keine Abtrennung und damit Sonderstellung anerkannt werden. Die exakt-experimentelle Erbforschung hat speziell für den Menschen nachweisen können, daß auch der Bereich des Geistig-Seelischen den für alle Lebewesen gültigen Vererbungsgesetzen unterworfen ist (Zwillingsforschung, Humangenetik), und die V e r h a l t e n s f o r-s c ii a n g an Tieren hat zweifelsfrei belegt, daß auch hier zwischen Tier und Mensch keine scharfen Grenzen, sondern nur fließende Übergänge bestehen. Die gegenüber der Definition von Eugen Fischer einschränkende Fassung der Unesco-Deklaration von 1951 ist dabei nicht das Ergebnis wissenschaftlich begründbarer Tatsachen, sondern wohl am besten daraus zu erklären, daß für den Nichtbiologen die völlige Einbeziehung des Menschen in die für alle Lebewesen gültigen und alle Erscheinungsformen und Außerungsmöglichkeiten umfassenden Vererbungsgesetze noch auf innere Vorbehalte stößt. Es fällt eben schwer, alle Grenzen aufzugeben, die den Menschen aus seiner Sonderstellung als denkendes, erkennendes und schöpferisch gestaltendes Wesen gegenüber der Tierwelt zu lösen scheinen.
Zu beiden Kassendefinitionen ist aber noch folgende wesentliche Feststellung zu machen: Sie sind in erster Linie zur Abgrenzung von derzeit lebenden genetischen Populationen bestimmt und erscheinen demgemäß vorwiegend statisch ausgerichtet. Rassen sind aber in biologischer Sicht kein bleibender Zustand, sondern dynamisch. Sie stellen in dem sich dauernd wandelnden Bewegungsvorgang Leben eine sich ständig über Mutationen in Kleinstschritten ändernde Fortpflanzungsgemeinschaft dar. Diese Bewegung als Zustand ist am treffendsten durch den amerikanischen Genetiker Dobzhansky formuliert worden, der kurzgefaßt sagt: »Rasse ist ein Prozeß.« Erst damit wird der Rassenbegriff sinnvoll in den geschichtlichen Lebensablauf hineingestellt und zugleich aus ihm als die kleinste sich ständig wandelnde systematische Einheit (genetische Population) verständlich, mit der wir den Gesamtablauf der Evolution alles Lebendigen auf der Erde deuten können.
Zur Abgrenzung von Rassen genügte theoretisch bereits das verbreitete Vorhandensein eines neuen Gens und daraus Merkmal(e) innerhalb einer genetischen Population, dessen (überwiegender) Alleinbesitz sie von den Nachbarpopulationen ihrer Art scheidet. Bei dem hohen Genbestand schon der Säuger würde eine derartige Trennungsgrundlage aber zu einer systematisch untragbaren Aufsplitterung führen. Man verwendet daher als Beurteilungs- und daraus Aufgliederungsgrundlage zur Aufstellung von Rassen den bereits von Eugen Fischer von Anfang an für den Menschen herausgestellten Alleinbesitz einer Reihe von Genen, die sich zu einer kennzeichnenden M a r k m a l s k o rn b i n a t i o n vereinen und in größerem Rahmen eine deutliche Abgrenzung der verschiedenen genetischen Populationen einer Art ermöglichen. Die kurzen Ausführungen im Zusammenhang mit der Rassendefinition durch Dobzhansky machen nun zugleich klar, daß es unter natürlichen Bedingungen im lebensgeschichtlichen Entwicklungsablauf keine r eine n Rasse n geben kann, sondern stets nur fließende Übergänge mit einem Mehr oder Minder im Besitz der kennzeichnenden Merkmalskombination. Reine Rassen in ihrer theoretisch möglichen Vollendung sind erst vom Menschen selbst durch bewußte Zucht bei Tier oder Pflanzen geschaffen worden. Übertragen auf die Rassengliederung beim Menschen finden wir deshalb bei den verschiedenen Autoren recht wechselnde Anzahlen von Einzelrassen aufgeführt. Diese werden zwar jederzeit nach den gleichen genetischen Grundprinzipien unterschieden. Die Abweichungen ergeben sich jedoch im einzelnen überwiegend daraus, daß einmal die Vielfalt der tatsächlich erfaßbaren regionalen genetischen Populationen (Gauschläge, Lokalrassen, Rassengenese) mehr in den Vordergrund tritt, oder daß statt dessen übergeordnetere Gesichtspunkte das Gliederungsschema bestimmen. Bei der Zusammenfassung der Einzelrassen nach oben hin in zusammengehörige überregionale Einheiten oder Großrassen (z. B. Europide, Mongolide, Negride) können natürlich nur immer weniger Einzelmerkmale der kennzeichnenden Kombination berücksichtigt werden. Dabei ergeben sich gerade in den Übergangsgebieten (Kontaktzonen) bei den verschiedenen Autorenwechselnde Zuweisungen zu der einen oder anderen Großrasse. Diese Gliederungs- bzw. Auffassungsunterschiede besagen aber nichts gegen die absolute Gültigkeit der Rassendefinition an sich, sondern ergeben sich allein aus dem unterschiedlichen Gewicht, das die Autoren im Einzelfalle einem oder mehreren Rassenmerkmalen zusprechen. Auch diese Auffassungsunterschiede unterstreichen nur, daß wir es bei Rassen mit Lebensabläufen, also Bewegungsvorgängen, zu tun haben, die sich unseren methodisch-klassifikatorischen Ordnungsversuchen in notwendigerweise starre Schemata nicht so leicht einfügen lassen.
Über den tatsächlichen Erbgang von Rassenmerkmalen sind wir bis jetzt, da wir am Menschen keine Kreuzungsexperimente durchführen können, nur insoweit unterrichtet, als Rassen -m i s c h u n g e n in Populationen (z. B. Europide Negride, Europide Mongolide, Europide Khoisanide) Serienbeobachtungen zuließen. Darüber hinaus hat aber die moderne Humangenetik über Zwillingsforschung und besonders V a t e r s c h a f t s n a c h zv e i s e ein bereits kaum mehr übersehbares Material für die Erblichkeit feinster morphologisch-körperlicher Züge wie entsprechender geistig-seelischer Anlagen bereitgestellt. Unser bisher erreichter wissenschaftlicher Kenntnisstand läßt daher keinen Zweifel daran, daß der Mensch in seiner Gesamtheit von körperlichen Zügen und Funktionen wie geistig-seelischen Äußerungs- und Leistungsmöglichkeiten den gleichen Vererbungsgesetzen unterworfen ist wie alle übrigen Lebewesen der Erde und daher auch für ihn nur ein Rassenbegriff in Anwendung kommen kann, der den Menschen in seiner Gesamtheit umfaßt. |
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